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WM2018

 
Endstand im Tippspiel

am 11.07.2021 - 23:55 Uhr
nach  51  von  51 Spielen


Aktuelle Kommentare zu den Spielen findet Ihr unter der Tabelle!

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und
EM-Abschlusskommentar

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David Wangner
Borko Borkowski
Christina Kayma
Imke Bergmann-Scheel
Nicole Biebow
Jan Scholten
Frederik Dethlefs
Ruediger Stein
E. Vollertsen & H. Dethlefs
Jan Helmke
Martin Zander
Annette Christoph
Ingo Bergmann
Helge Ahrens
Klas Lackschewitz
Jan-Malte Wolfsdorf
Norbert Dregger
Marc Zehnich (+/-)
Tobias Christoph
Svea Lükemann
Martin Kordowski
Henriette Kolling
Sven Petersen
Jörn Geletneky
Anna-Lena Stein
Sven Geletneky
Michael Berger
Ed Hathorne
Hardy Jacobsen
Karen Volkmann-Lark
Dirk Staats
Martin Frank
Nicolas van Nieuwenhove
Emanuel Söding
Stephan Steinke
Stefan Wind
Nele Koellmann
Bernd Christoph
Kai Didié
Sabine Lange
Johannes Göser
Robert Spielhagen
Jan Henrik Petersen
Paul Schneeberg
Alex Schimanski
Maurice Kusza
Roland Friedl-Schulz
Marcus Gutjahr
Tim Stobbe
Boyke Feddersen
Niklas Menke
Tristan Bauch
Kirsten Fahl
Jörg Geldmacher (+/-)
Hanno Meyer
Stefan Wetzel
Tim Klages
Manuel Burkhardt
Lisa Christoph
John Reijmer
Merle Lackschewitz
Edgar Borkowski
Hanno Kinkel
Jeroen Groeneveld
Jens Hölemann
Katya & Sasha Taldenkov(a)
Henning Bauch
Jochen Dreger
Nils Stein
Mette Geletneky
Martin Weinelt
Azzedin Ait Brahim
Michaela Bessmann
Claudia Didié
Gerd Unger-Schneeberg
Hubert Dohle
Bertram Zitscher (+/-)
Kristina Heilemann
Johann Klages
Gerhard Kuhn
Jonathan Lackschewitz (-/-)
Dieter Höffmann
Sven Roth
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(-/-) Keine Endrundentipps abgegeben, (+/-) keine Halbfinal-/Finaltipps abgegeben.

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Abschlusskommentar zur EM 2021

Das war die EM

Dieses Europa-Turnier war anders. Es fand nicht nur wegen der Corona-Epidemie ein Jahr später als geplant statt, es gab auch kein einzelnes Gastgeberland oder -paar, selbst wenn man am Ende das Gefühl hatte, dass irgendwie fast alle Spiele in St. Petersburg oder London stattgefunden haben. Gerecht war die Spiel-Verteilung jedenfalls nicht. So musste das englische Team von der Vorrunde bis zum Finale nur einmal außerhalb von England antreten: In Rom, was von London aus auch keine Weltreise entfernt liegt. Da hatten es die Schweizer mit dem Routenplan Baku-Rom-Baku-Bukarest-St. Petersburg durchaus beschwerlicher. Hinzu kamen die Einschränkungen durch die Corona-Epidemie - oder eben auch die Aufhebung dieser Einschränkungen, die von der UEFA gefordert wurde. Wer sich weigerte, die geforderte Zuschauermenge ins Stadion zu lassen, wurde halt kurzerhand rausgekickt, so geschehen im Fall von Bilbao und Dublin. Wenn deren Stadtverwaltungen verantwortungsbewusst, aber gegen die finanziellen Interessen der UEFA handelten, dann fand sich schnell ein Despot wie Viktor Orban, der 56.000 Leute ins Stadion ließ und so dem Kontinentalverband die für allerlei illustre Zwecke sicher dringend benötigten Ticketeinnahmen garantierte. PandEMie? Noch nie davon gehört!


Der Fußball

Die Vorfreude auf das Turnier war bei ganz vielen Fußballfans eher gering. Die Bundesliga gerade vorbei, mit sterilen Spielen vor leeren Rängen und gähnender Langeweile auf den vorderen Plätzen der Tabelle, was sollte da so eine Europameisterschaft schon bieten? Zum Glück wurde es doch ein interessantes Turnier. Kaum ein Spiel war wirklich langweilig, selbst Polen-Slowakei oder Österreich-Nordmazedonien boten viele interessante Szenen. Taktisch waren mehrere Ansätze erfolgreich, wobei man jeweils auch den Erwartungshorizont der einzelnen Teams in die Betrachtung einbeziehen muss.

Wer glaubte, mit Betonfußball sei heutzutage nichts mehr zu holen, musste sich in der Vorrunde eines Besseren belehren lassen. Finnland gewann im ersten EM-Spiel seiner Geschichte gegen Dänemark trotz 1:22 Torschüssen mit 1:0. Okay, die Dänen waren nach der Herzattacke von Christian Eriksen, der einfach auf dem Feld umgekippt war, sicherlich geschockt, aber sie schossen bei der Fortführung des Spiels weiter aufs finnische Tor, trafen bloß eben nicht. Und Schweden ermauerte sich mit 15% Ballbesitz gegen Spanien einen Punkt, der am Ende für den Gruppensieg wichtig war. England kam ins Finale, ohne ein einziges Gegentor aus dem Spiel heraus kassiert zu haben. Doch dort verließ Trainer Southgate nach der frühen Führung die Courage, noch in der ersten Hälfte die Entscheidung durch ein oder zwei weitere Tore zu suchen, als die Italiener durch seine taktische Umstellung noch merklich in Verwirrung gestürzt waren. Spätestens mit der Halbzeit war das aber vorbei, der Ausgleich war verdient und konsequent, und wenn sich ein englisches Team dann in ein Elfmeterschießen ziehen lässt, ist es selber Schuld.

Die erfreulichste Erkenntnis dieses Turniers ist, dass Mut belohnt wurde. Mit Italien gewann die Mannschaft, die über das gesamte Turnier hinweg den attraktivsten Fußball spielte. Wo italienische Teams früher nach dem 1:0 die Rollläden runter ließen und das Ergebnis routiniert nach Hause schaukelten, da spielte diese Mannschaft einfach frisch weiter nach vorn und schoss gern noch das 2:0 und 3:0. Trainer Mancini hat ein Wunder geschafft, eine Mannschaft aus alten Säcken wie Giorgio Chiellini (fast 37) und Leonardo Bonucci (34) in der Innenverteitigung, sowie einer Menge junger Leute, die oft ihr erstes großes Turnier spielten, wie Donnarumma, Chiesa, und Spinazzola. Das war erfrischend anders und hat die Fußballfans in ganz Europa begeistert, besonders aber die im von der Epidemie hart geprüften eigenen Land.

Auch andere Teams setzten auf Angriffsfußball. Spanien kam mit einer neu formierten Mannschaft und brauchte einiges an Anlaufzeit, bis die technischen Fertigkeiten und das tolle Kombinationsspiel auch Erfolg brachten. Im Halbfinale scheiterten die Iberer dann im Elfmeterschießen am Turniersieger. Ähnlich unglücklich verlief dasTurnier für die Belgier, die schon nach dem Viertelfinale nach Hause fuhren, geplagt durch Verletzungen wichtiger Spieler wie de Bruyne und Witsel. Schade, die Goldene Generation der Belgier bleibt wohl ungekrönt.


Die Tops der EM

Italien.

Fast alle sog. "kleinen" Fußballnationen, die alles versuchten, um ihre Fans zuhause stolz und glücklich zu machen. Am besten gelang das den Dänen, die ohne und für ihren Superstar Eriksen bis ins Halbfinale vorstießen, dort aber gegen England nichts mehr ausrichten konnten. Auch die Schweizer waren toll und kickten sogar den amtierenden Weltmeister raus. Nicht vergessen sollte man aber Österreich, Nordmazedonien, Wales, Finnland und Schweden, die alle ihre Erfolge hatten oder zumindest erfrischenden Fußball spielten. Sogar die Schotten mussten sich nicht schämen, immerhin trotzten sie dem Vizeeuropameister ein 0:0 ab, das in den Pubs von Glasgow und Edinburgh noch lange ein Thema sein wird.

Die Schiedsrichter: Durchweg souveräne Auftritte der Herren in Schwarz sorgten dafür, dass hinterher kaum über die Unparteiischen gesprochen wurde. Entscheidungen des VAR kamen schnell und sorgten nur selten für lange Wartezeiten. Der höchst fragwürdige Elfmeterpfiff nach Sterlings Flugeinlage, der in der Verlängerung für die Entscheidung zugunsten Englands gegen Dänemark sorgte, war die eine große Ausnahme, die den guten Gesamteindruck nicht schmälerte.

Die Studio-Expert*innen Almuth Schult, Christoph Kramer und Stefan Kuntz: Man muss kein Weltstar (gewesen) sein, um Fußballspiele für die Zuschauer verständlich sezieren und erklären zu können. Diese Drei machten das großartig.

Der Sportschau-Club mit Micky Beisenherz und Esther Sedlaczek: Humorvolle Aufbereitung der Spiele und oft wirklich lustig. Leider sehr späte Sendezeit.

Die Rückkehr der kunstvollen Außenristflanke: Andrej Jarmolenko und Joakim Mæhle zelebrierten diese wundervolle Art der Torvorbereitung fast in Vollendung.

Die Rückkehr der Weste auf den Fußballplatz: Die Trainer von England, der Slowakei und Schweden zeigten sich modebewusst.


Die schönsten Tore

1:0 für Österreich gegen Nordmazedonien: Nach einer scharfen 30 Meter-Flanke von Sabitzer von links direkt vor den rechten Pfosten schiebt Lainer den Ball halbhoch volley aus spitzem Winkel ins lange Eck. Artistisch!

1:2 für die Ukraine gegen die Niederlande: Jarmolenko läuft von rechts parallel zur Strafraumgrenze und zirkelt den Ball mit links aus 17 m oben links ins Eck. Arjen Robben hätte es nicht besser gekonnt. Ein Tor wie ein Gemälde.

1:2 für die Türkei gegen die Schweiz: Irfan Can Kahfeci gelingt eine Kopie des Tores von Jarmolenko.

2:0 für Tschechien gegen Schottland: Patrik Schick erhält kurz vor der Mittellinie den Ball durch einen vertikalen Flachpass, läuft über die Mittellinie und schlägt mit dem linken Fuß die Kugel in leichtem Bogen aus 50 Meter Entfernung oben links ins Eck. Das war kein Lupfer eines sowieso fliegenden Balles, sondern (viel schwieriger!) ein Schuss des am Boden rollenden Balles. So etwas gelingt Schick vermutlich in diesem Leben nicht noch einmal.

1:0 für Wales gegen die Türkei: Bale chipt den Ball von Höhe des Mittelkreises über alle Abwehrspieler hinweg kurz vor den Fünfmeterraum, wo Ramsey ihn technisch sauber mit der Brust annimmt, abtropfen lässt und routiniert links ins Eck schiebt. Tolle Kombination!

2:1 für Slowakei gegen Polen: Skriniar steht mittig ca. 14 m vor dem polnischen Tor, erhält dem Ball von rechts, stoppt ihn sauber und schließt aus dem Stand links unten ins Eck ab. Cool gemacht!

1:0 für Russland gegen Finnland: Miranchuk spielt per Doppelpass mit Dzyuba sechs Finnen schwindelig, legt sich dann die Kugel vom rechten auf den linken Fuß und schlenzt ihn von rechts ins lange Eck.

2:1 für Kroatien gegen Schottland: Modric zirkelt mit dem rechten Außenrist fast aus dem Stand aus 18 m Entfernung mittig vor dem Strafraum den Ball links oben ins Eck. Ein Zaubertor vom Zauberfuß aus Zagreb.

1:2 für Polen gegen Schweden: Lewandowski wird auf der linken Seite steil geschickt, stoppt im Strafraum ab, legt sich den Ball auf den rechten Fuß und schlenzt ihn zwischen zwei Gegenspielern hindurch rechts oben ins lange Eck.

4:0 für Spanien gegen die Slowakei: Eine flache Hereingabe von rechts verlängert Torres mit der rechten Hacke ins lange Eck.

1:0 für Dänemark gegen Wales: Dolberg zieht von links vor dem Strafraum in die Mitte und zirkelt den Ball angeschnitten rechts unten ins Eck.

1:2 für Österreich 2-Meter-Mann Kalajdzic köpft auf Kniehöhe hart bedrängt und festgehalten im Fallen den Ball nach einer Ecke ins kurze Ecke und beendet damit die Gegentor-lose Zeit der Italiener

3:1 für Frankreich gegen die Schweiz durch Pogba: Einfach mal aus 22 m aus dem Stand die Kugel rechts oben im Winkel versenkt.

2:0 für Italien gegen Belgien: Insigne erhält auf der linken Seite vor der Mittellinie den Ball, läuft Richtung Strafraum, lässt dabei noch zwei Gegenspieler stehen und zirkelt dann die Kugel aus 20 m Entfernung rechts oben in den Winkel.

1:0 für Dänemark gegen England: Damsgaard zieht einen Freistoß aus gut 25 m Entfernung links oben ins Eck. Das einzige Tor durch einen direkt verwandelten Freistoß bei dieser Europameisterschaft.


Die Flops der EM (I): Sportliches

Die Mannschaft der Türkei: Das war gar nichts.

Der amtierende Weltmeister Frankreich: Die Fußballwelt hat sich weiter gedreht. Nur mit Abwarten und schnellen Stürmern holt man heute keinen Titel mehr.

Jogi Löw. Verfehlte Taktik (Dreier- bzw. Fünferkette) gegen Frankreich und Ungarn, Einfallslosigkeit gegen England - so gewinnt man keine Spiele. Wenn man dann noch die besten Spieler auf den falschen Positionen einsetzt (Kimmich, Müller, Kroos) und ohne richtigen Sechser antritt, dann hat man im heutigen Fußball nichts mehr zu suchen. Jogi, setz Dich in Freiburg ins Café und trink Deinen Espresso. Aber komm bitte, bitte nicht auf die Idee, Du könntest uns zukünftig als Gastkommentator im TV die Fußballwelt erklären. Sie ist nämlich nicht mehr Deine Welt.

Martin Dubrovka (Slowakei): Schaffte gegen Spanien das kurioseste Eigentor der EM. Nachdem der Ball nach einem Schuss von Sarabia von der Latte senkrecht hochgesprungen war, patschte sich Dubrovka den runterfallenden Ball wie ein Volleyballer am Netz selbst ins Tor.


Die Flops der EM (II): Fußball im Fernsehen

Die Fernsehanstalten taten wieder ihr Bestes, um uns den Genuss der meist ja recht ansehnlichen Spiele zu verleiden. Wieso gab es manche Begegnungen nur im Bezahlkanal der Telekom? Wieso darf Bela Rethy noch immer Fußballspiele öffentlich kommentieren? Wer erklärt Claudia Neumann, dass sie nicht fürs Radio, sondern für Fernsehzuschauer kommentiert, die selber zwei Augen im Kopf haben? Wer macht Gerd Gottlob klar, dass nicht jede gelungene Aktion gleich "sensationell" war? Es blieben viele Fragen offen. Und es gab viele weitere nervige Details. Hier nur ein paar Beispiele:

"Campo Bavaria" - ein Blödsinnsname für Herzogenaurach aka Dasslertown

Von den Kommentatoren ausdrücklich mitgesprochene Satzzeichen, z.B. "Ist das jetzt schon das letzte Aufbäumen, Fragezeichen". Ja, hallo??? Wenn Ihr zu dämlich seid, eine Frage so zu formulieren, dass man sie als Frage versteht, dann sucht Euch einen anderen Job!

Claudia Neumann bei Belgien-Dänemark: "Und wieder lässt sich Thibault Courtois alle Zeit der Welt und provoziert damit die Fans, die genau hinter seinem Rücken stehen, zu Becherwürfen. Das sollten sie sein lassen, das bringt gar nichts." Ach, wirklich? Danke für diese Information.

Die nervige Studioband der ARD, die immer noch weiterdudelte, wenn er Moderator längst losgeredet hatte.

Nochmal ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann (beim Spiel Italien-Wales): Kündigt im ZDF an, es gebe Spezialperspektiven der Spiele auf Sportschau.de, also im Web-Angebot der Konkurrenz.

Immer wieder in den Kommentar eingestreute Informationen über Spieler, Trainer oder sonstwas, die vom Sprecher mit dem Zusatz "Sie wissen das!" weitergereicht werden. Ja, zum Teufel, wenn Du weißt, dass wir das wissen, warum erzählst Du uns das dann?

Bastian Schweinsteiger: Der Mann ist und bleibt spätestens seit dem WM-Finale 2014 ein deutscher Held. Aber für Smalltalk über Fußball ist er nicht geeignet. Hoffen wir, dass die ARD das einsieht.


Das Tippspiel: Entscheidung im Finale

Auch im Tippspiel entschied sich alles erst im Elfmeterschiessen. Hätte England triumphiert, dann wäre tatsächlich meine liebe Tochter Helen mit ihrem Mitbewohner Enno durch konsequente England-Tipps noch an die Spitze der Tippspieltabelle gesprungen. Auch wenn ich den Pokal gern in der Familie behalten hätte: Der Sieg Italiens ist ein Sieg für den schönen Fußball und das ist gut so! Da müssen persönliche Präferenzen auch mal zurück stehen. So konnte David seinen Spitzenplatz nicht nur halten, sondern den Vorsprung sogar noch ausbauen. Christina hielt Platz 2, den sie sich mit Borko teilen muss, welcher sich im Schlussspurt noch weit nach oben gearbeitet hat. Bis Platz 7 reichen die Geld-Ränge - herzlichen Glückwunsch an alle, die es dorthin geschafft haben! Das Kommentatoren-Duo dieses Tippspiels eint, dass wir von unseren  Familienmitgliedern gnadenlos abgezockt wurden und nur im Mittelfeld landeten. Experten-Schicksal... Da Spanien sich den Titel der besten Torfabrik mit dem neuen Europameister teilt, gab es für einige noch 3 Zusatzpunkte, auch für den bisherigen Tabellenletzten Dieter. So muss nun Sven mindestens 15 Monate mit der Roten (Rothen?) Laterne leben, die traditionell in Form einer Flasche Rotkäppchen-Sekt vergeben wird.

Insgesamt hat diese Europameisterschaft unerwartet viel Spaß gemacht, ob zuhause im TV, auf dem Laptopbildschirm oder in Jochens EM-Studio. Das in Schleswig-Holstein überwiegend gute Wetter war der Freude dabei durchaus förderlich. Ob in eineinhalb Jahren in der Adventszeit die WM in der Wüste genauso interessant wird, muss sich noch zeigen.

Bis zur WM in Katarrh ein herzliches Du-Bye!
Robert

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Epilog vom Kanal zur EM 2020/2021

Alles kerngesund

Die EURO 2020, die aus bekannten Gründen erst mit einem Jahr Verspätung stattfinden konnte, ist nun schon wieder Geschichte. Es bleibt vorerst abzuwarten, ob es sich in der Rückschau um eine wirklich schöne Geschichte handelt, so wie uns die Funktionäre der UEFA glauben machen wollen. Diese vertreten allen Ernstes die Auffassung, dass eine solche auf elf Standorte in ganz Europa und teilweise sogar in Asien verteilte Massenveranstaltung komplett ohne gesundheitliche Risiken für die Beteiligten durchgeführt werden konnte. Die zugrundeliegenden Hygienekonzepte wurden in aller Bescheidenheit sogar als beispielhaft für die Organisation weiterer Großveranstaltungen auf der ganzen Welt ausgelobt – alles kerngesund! Noch während des Turniers erhöhte man die zulässigen Kapazitäten in einigen Stadien erheblich – bei der Finalrunde in Wembley bis auf über 65.000 Zuschauer. Weiterhin wird betont, dass das große Fußballsommerfest für alle Menschen ein Signal der Hoffnung ausgesendet hat und auf diese Weise ein Quell der Freude in schwierigen Zeiten gewesen sein soll. Natürlich kann man das in fußballverbandspolitischer Selbstgefälligkeit und Verblendung so sehen. Für viele Fußballfans mag das auch eine willkommene Abwechslung nach tristen Monaten steriler TV-Geisterspiele gewesen sein. Die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen waren aber ebenfalls nicht zu übersehen. Es bleiben verstörende Bilder von ekstatischen Fußballfans in pickepackevollen Stadien, die sich ohne Abstand und Maske in großen Menschentrauben zusammenballten – und das vor dem Hintergrund einer nur vermeintlich entspannten Pandemielage im sommerlichen Europa. Wie naiv kann man sein, zu glauben, dass solche „Vorbilder“ nicht auch direkte Auswirkungen auf das Verhalten von Menschen abseits der Fußballstadien haben könnten? Die Quittung dafür wird uns vermutlich im kommenden Herbst präsentiert. Das will zwar keiner hören, es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit aber dazu kommen. Natürlich ist es zu einfach, den internationalen Fußball alleine dafür verantwortlich zu machen. Aber dieser steht nun einmal im medialen Blickfeld und Fußballstars werden von vielen Fans als Vorbilder angesehen. Jedenfalls war die Vorgabe größerer Zuschauerzahlen in den EM-Stadien ohne Rücksicht auf mögliche Kollateralschäden seitens der UEFA ein großer Fehler. Willfährige Regierungschefs, Autokraten und Despoten der Sorte Putin, Aliyev, Erdogan oder Orbán sorgten dann für die entsprechende tatkräftige Umsetzung in den beteiligten EM-Ländern – also alles kerngesund! Der damit verbundene klimaignorierende Fußball-Flugzirkus kreuz und quer durch Eurasien von Kopenhagen bis Sevilla und von Glasgow bis Baku ist ein weiteres Thema, das diese Europameisterschaft ist einem nicht ganz so hellen Licht erstrahlen lässt. Immerhin hatten die gebeutelten Fluggesellschaften endlich auch mal wieder Gelegenheit, ein paar Menschen mehr durch die Weltgeschichte zu transportieren.

Am Ende wurde mit Deutschland wieder irgendeine Mannschaft verdient Europameister. Glückwunsch! Sorry, kleiner Irrtum – das war ja schon vor einigen Wochen bei der U21-EM im Juni. Natürlich siegten bei den Ü21 diesmal die Italiener. Was fiel bei dieser EM noch in sportlicher Hinsicht auf? Vielleicht die Angst der Torschützen vor dem Elfmeter und die Angst der Torhüter vor den eigenen Mitspielern. Denn selten wurden in einem großen Turnier so viele Strafstöße vergeben und Eigentore erzielt. In Erinnerung bleiben vermutlich mehr slapstickartige Szenen als Traumtore. Viele der vermeintlich großen Stars blieben diesmal eher blass, der Star of the Tournament war diesmal eindeutig die mannschaftliche Geschlossenheit auf dem Platz. Dafür stehen sinnbildlich einerseits die fröhlichen Dänen, die den brutalen Eriksen-Schock aus dem allerersten Spiel schnell verdauten und die Nachricht von der schnellen Genesung ihres Mannschaftskapitäns mit der Nummer 10 in positive Energie und in eine großartige Performance auf dem Platz umsetzten. Und andererseits sind da diese erstaunlichen Italiener, die mit ihrem charismatischen Trainer und einer 70-jährigen Innenverteidigung plötzlich gar nicht mehr typisch italienisch spielten. Auch die Engländer bauten auf mannschaftliche Geschlossenheit und spielten ein sehr gutes Turnier. Aber es hat trotzdem wieder einmal nicht ganz gereicht. Mein Mitleid hält sich aber in engen Grenzen. Denn wer als selbsternannter Erfinder des sportlichen Fairplays beim Abspielen der gegnerischen Nationalhymne diese lautstark zerbuht und zerpfeift, der wird mit Titellosigkeit nicht unter 55 Jahren bestraft!

Die Mannschaft fiel bei diesem internationalen Mannschaftstest auch diesmal wieder leider durch. Damit hat man passend zur bereits vorher feststehenden Jogidämmerung zum zweiten Mal in Folge ein großes Turnier mehr oder weniger vollständig in den Sand gesetzt. Das passierte letztmals im Jahre 2000, als das EM-Team von Sir Erich Ribbeck nach dem vorherigen Ausscheiden von Bertis Buben im Viertelfinale der WM 1998 bereits in der Vorrunde sang- und klanglos ausschied. Es bleibt nun abzuwarten, ob Hansi Flick in den kommenden anderthalb Jahren bis zur WM 2022 irgendwie noch den Turnaround mit einer runderneuerten Mannschaft schafft oder für die deutschen Kicker erstmal in der langen Fußball-Historie ein Loser-Hattrick droht. In der kritischen Rückschau fehlte es bei dieser EM weniger an der individuellen Qualität der Einzelspieler, sondern eher an taktischer Flexibilität, Zielstrebigkeit und in gewisser Weise auch an Mentalität. Das war in früheren trüben Zeiten des deutschen Rumpelfußballs genau umgekehrt. Speziell im Achtelfinalspiel gegen England vermisste man den unbedingten Willen, dieses Spiel gewinnen und nach dem Rückstand noch irgendwie umbiegen zu wollen. Die Spieler fügten sich letztlich irgendwie in ihr Schicksal und flogen anschließend achselzuckend in die Sommerferien. Diese Pleite deutete sich im Grunde schon einige Wochen vorher mit Blick auf die deutlich fallende Leistungskurve speziell der Bayern-Spieler in der Bundesliga und in der Champions-League an. Mit einem solchen Negativ-Trend bringt dann natürlich ein angeblich starker Bayernblock nicht so richtig viel Power ins Team. Über die taktischen Defizite der späten Löw-Ära ist schon genug geschrieben worden. Aus Dankbarkeit für seine früheren großen Verdienste hat man seitens der derzeit nicht vorhandenen DFB-Führung zwei miserable Turnierergebnisse in Tateinheit mit unrealistischen Erfolgserwartungen billigend in Kauf genommen. Das ist menschlich und moralisch durchaus ehrenwert, war sportlich nicht so richtig zielführend. Der notwendige Umbruch wurde dadurch drei Jahre vertrödelt. Und der Druck auf den neuen Bundestrainer wird dadurch nicht geringer, denn sogar die anstehende WM-Qualifikation ist beileibe kein Selbstgänger. Vielleicht hilft ja eine mögliche Reaktivierung einer früheren Weltklassestoßstürmerlegende wie Sandro Wagner, der nach seinem wortreichen Comeback als neunmalkluger TV-Dampfplauderer eine weitere Chance auf dem Platz absolut verdient hätte. Über die Qualität der Berichterstattung bei den öffentlich-rechtlosen Fernsehanstalten insgesamt breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Und zum Trost für alle deutschen Fußballfans sei abschließend angemerkt, dass deutsche Mannschaften bei den seit 1930 ausgespielten großen Fußballturnieren bis zum letzten Erfolg 2014 immerhin schon siebenmal einen Titel abräumten, rein rechnerisch also alle 12 Jahre. Nach dieser schönen Statistik, um die uns viele andere Nationen beneiden, wäre man also spätestens bei der WM 2026 wieder titelreif im Geschäft. Das eröffnet doch echte Perspektiven, oder?

Blicken wir aber zunächst einmal kurz voraus auf die nächste WM 2022. Diese findet für alle Weihnachtsfans kurz vor dem Beginn der Festtage mitten in der Adventszeit auf der arabischen Halbinsel Katarrh statt. Advent bedeutet bekanntlich Ankunft und dort in der biblischen Wüste wird jetzt endlich auch der Fußball, vermutlich begleitet von himmlischen Heerscharen, endlich nach Hause kommen, nachdem dieser zum Kummer aller englischen Fans erneut dessen Mutterland so brutal verschmäht hat. Wir wissen dank deutscher Reiseexperten, dass in diesem Wüstenstaat nachweislich keine Arbeitssklaven mit Büßermützen herumlaufen. Außerdem war eine schwere Krankheit des Hals- und Rachenraums seinerzeit namensgebend für das heutige Emirat, als dort die ersten Araber vor vielen hundert Jahren eintrafen. Aber was wissen wir eigentlich sonst noch von dieser wunderbaren konstitutionellen Monarchie am Persischen Golf, außer dass man sich dort überaus gastfreundlich und spendabel zeigt, besonders wenn es um die Vergabe von internationalen Sportveranstaltungen aller Art geht? Egal – auch dieses Turnier wird aller Voraussicht nach wieder großartig, zumindest wenn es nach den Vorstellungen der FIFA geht. Und der nächste WM-Bewerber steht mit China gewissermaßen schon Gewehr bei Fuß. Staats- und Parteichef Xi Jinping wird sich jedenfalls die nächste Weltmeisterschaft ganz genau anschauen. Denn auch dieses Land erfüllt alle Voraussetzungen als künftiger Turnierausrichter: Es herrschen stabile politische und wirtschaftliche Verhältnisse, man ist überaus gastfreundlich und spendabel, man hat mit der Wüste Taklamakan in der Region Xinjiang den idealen klimatischen Standort und mit den dort ansässigen Uiguren eine schier unerschöpfliche Quelle hochmotivierter und kostengünstiger Facharbeiter für den Bau wunderschöner klimatisierter WM-Stadien. Also brauchen wir uns um die Zukunft des internationalen Fußballs absolut keine Sorgen zu machen. Sie liegt im sicheren Würgegriff guter Hände – also alles kerngesund!
 

Mit besten Grüßen vom Kanal

Bernd Christoph

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EM-Kommentar vom 08.07.2021

Liebe Tippspieler*innen,

es geht ins Finale! Zwei Mal mussten wir in die Verlängerung, ein Mal sogar ins Elfmeterschießen, dann standen die Finalteilnehmer fest. Italien war zwar wieder stark, aber über 120 Minuten war Spanien im Grunde die bessere Mannschaft. Wenn das relativ junge spanische Team bis zur Wüsten-WM im übernächsten Advent noch etwas mehr Effektivität vor dem gegnerischen Tor entwickelt, dann kann es zum echten Titelkandidaten reifen. Die Italiener sind jetzt schon gut genug für den EM-Titel - im Grunde ein Wunder, das Mancini dort nach der verpassten letzten WM-Qualifikation vollbracht hat. Egal wer vorne spielt, ob Dauerrenner Immobile oder Bulldogge Belotti, es bleibt immer gefährlich. Das Mittelfeld arbeitert sehr konzentriert gegen den Ball und die Altherren-Innenverteidigung ist an Erfahrung nicht zu überbieten. Wenn ich dann selbst am TV den Teamgeist spüre, der die ganze Mannschaft besselt, den alten Sack Chiellini sehe, wie er vor dem Elfmeterschießen Witze mit Gegenspieler und Schiedsrichtern macht, dazu der Drang der Italiener, in fast allen Spielen nach dem 1:0 auch noch das nächste und übernächste Tor zu machen ... - ich bin nur ein Fußballfreund, der vor dem Fernseher sitzt, aber meine Sympathien sind vor dem Finale eindeutig verteilt. Okay, die Schauspieleinlage von Immobile gegen Belgien war komplett überflüssig, aber spielentscheidend war sie in keiner Weise, ganz im Gegensatz zu Sterlings Flugeinlage in der Verlängerung gestern abend. Dazu das unfaire Publikum, das die dänische Nationalhymne ausbuhte und auspfiff (Hallo??? Was soll so ein Scheiß?) und die Laserpointer-Attacke gegen Schmeichel direkt vor dem Elfmeter ... - nee ... , ich bin kein der Unparteilichkeit verpflichteter Journalist des öffentlichen Fernsehens, ich gönne diesem englischen Publikum am Sonntag gern eine unvergessliche Niederlage im eigenen Wohnzimmer.

Leicht werden es die Italiener nicht haben, die englische Abwehr ist aus dem Spiel heraus noch immer ohne Gegentor - aus gutem Grund. Zwar waren die Dänen offenbar ab der 2. Halbzeit physisch nicht mehr in der Lage, die englische Abwehr zu fordern, aber bei Maguire & Co wird defensiv sehr solide gearbeitet. Vorn hängt viel von Sterling und Kane ab. Wenn die sich nicht durchsetzen können, dann ist das englische Team zwar noch immer schwer zu bespielen, aber so richtig viel Gefahr für das gegnerische Tor strahlt das Mittelfeld nicht gerade aus. Es reichte gestern, um die Dänen jederzeit im Griff zu haben. Die wirkten viel zu früh viel zu platt, es kam fast nichts mehr nach vorn. Frische Offensivkräfte wurden eingewechselt, aber hatte Poulsen irgendeine nennenswerte Offensivaktion? Der englische Sieg war verdient, keine Frage. Aber mal so unter uns: Müssen die Limies deswegen gleich Europameister werden?

Nachdem nun alle Tipps abgegeben wurden (okay... - einige haben auf die letzten 3 Spiele verzichtet), konnte ich mit meiner Auswertematrix einfach mal ein paar Szenarien durchspielen. Für viele sieht es düster aus, da ist gar nichts mehr zu holen, weder beim Finaltipp noch bei den Vorab-Tipps des neuen Titelträgers oder der Mannschaft mit den meisten Toren. Wenn man wie ich dem aktuellen Weltmeister noch einen zweiten Titel zutraute, dann griff man eben tief ins Klo. Egal, Mund abputzen, weitermachen... ;-) Für Spitzenreiter David sieht es jetzt gut aus, er hat seine Tipps so gesetzt, dass er aus den Top-3 eigentlich nicht mehr rausfallen kann. Viel wird davon abhängen, wer Europameister wird, denn die Zusatzpunkte bringen wohl auch diesmal die Entscheidung. Ich will nicht zu viel verraten, aber es kann tatsächlich noch jemand ganz überraschend an die Spitze springen... Auch im Kampf um die Rote Laterne ist noch nichts entschieden. Dieter hatte auf Spanien als die Mannschaft mit den meisten Toren gesetzt und derzeit sind die Iberer in dieser Statistik mit 13 Treffern noch vorn. Wenn England und Italien im Finale maximal drei bzw. einen Treffer erzielen, holt Dieter noch 3 Punkte und Sven die ungeliebte Trophäe. Oben wie unten bleibt es also spannend.

Auf ein ebenso spannendes Finale und auf einen verdienten Sieger (gern mit anschließenden ausgelassenen Feiern in den Pizzerien vom Nordkap bis Sizilien;-) hofft
Robert




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EM-Kommentar vom 04.07.2021


Liebe Tippspieler*innen,

ein bittere Niederlage war das am frühen Freitagabend, nie aufgegeben, aber trotzdem verloren. Doch mit einem Mann weniger war einfach nicht mehr drin. Wenn man dann auch noch die allergrößten Chancen versiebt und die geschälten Bananen liegen lässt... Wer weiß, wäre Hendrik nicht eine Viertelstunde vor Schluss zum Kinder-ins-Bett-bringen nach Hause gefahren, dann hätten wir vielleicht noch das eine oder andere Tor gemacht. Aber so... - nee, es war wirklich nicht mehr drin. Dieser Hebbelkick endete schon wieder ziemlich unbefriedigend, gern würde ich auch mal wieder gewinnen... Immerhin war Ingos Jever hinterher schön kalt!

Derweil ging es den tapferen Schweizern nicht viel besser. Großartig gekämpft, auch mit 10 gegen 11 alles rausgehauen, dann aber in der Elfmeterlotterie doch an Spanien gescheitert. Letzteres passierte allerdings doch ziemlich kläglich. Beim Sieg der Spanier bleibt der fade Beigeschmack eines eher fragwürdigen Platzverweises für den Schweizer Freuler und die Frage, warum sie auch bei Überzahl das Schweizer Bollwerk nicht knacken konnten. Ein Favorit auf den EM-Titel sieht anders aus.

Am Abend, nach dem Duschen gab es dann das wohl beste Spiel dieser WM, zumindest was die Klasse beider Mannschaften anbetraf. Zwar konnte der im Achtelfinale wegen Verletzung ausgewechselte de Bruyne bei den Roten Teufeln wieder mitspielen, aber sein Einfluss auf das Spiel des Weltranglisten-Ersten schien mir geringer als in vorherigen Spielen. Hat das Belgien den Sieg gekostet? Schwer zu sagen, die Italiener legten eine erstklassige 1. Hälfte hin, mit einem 2:0 durch Insigne, das man einrahmen, sich an die Wand hängen und täglich anbeten möchte. Phantastisch! In der 2. Halbzeit kamen dann die Belgier auf, erhielten einen eher geschenkten Elfmeter und drängten auf den Ausgleich, den nur der Oberschenkel von Spinazzola verhinderte. Geradezu tragisch, dass dieser großartige Kicker dann mit einer schlimmen Verletzung raus muste... - Achillessehnenriss... - fürchterlich... Erst ganz zum Schluss verflachte das Spiel dann ein wenig. Die belgische Mannschaft bekam den Ball nicht mehr gefährlich vors gegnerische Tor und Chiellini das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Es reichte zum Sieg und die Goldene Generation der Belgier bleibt ohne Titel. Es ist kaum vorstellbar, dass diese tolle Ü30-Mannschaft in der Hitze von Katar noch einmal um den Titel mitspielen kann. Schade. Die Italiener sind jetzt der Topfavorit auf den Titel, aber mit Spanien steht noch eine hohe Hürde im Weg. Der Weg ins Finale könnte schwieriger werden als das Endspiel selbst. Zwar spielen die Azzuri derzeit den durchgängig besten Fußball, aber ein Schönheitspreis wird nicht vergeben.

Am frühen Samstagabend gelang auch der zweiten Sympathieträger-Mannschaft der Sprung ins Halbfinale. Ein frühes Kopfballtor machte vieles einfach für die Dänen, denn nun mussten die Tschechen kommen. Auch hier sah es dann im Anschluss an das 2:0 nach zauberhafter Außenristvorlagen von Mæhle aus, als sei das Pølser-Hotdog gegessen, aber die Tschechen machten es mit dem schicken Gegentor spannend. Dennoch war es auch hier ein am Ende verdienter Sieg , in der 1. Hälfte waren die Dänen einfach deutlich besser.

Um 21 Uhr folgte das letzte Viertelfinalspiel, ein klarer 4:0-Sieg der Engländer gegen überforderte Ukrainer. Aber was haben wir da wirklich gesehen? Viel biederer Beamtenfußball nach Schema F. Nach dem frühen Führungstor folgte eine der langweiligsten Halbzeiten dieser EM. Wollten die Engländer nicht oder konnten sie nicht? Das war ein komplett ideenloser Kick, ein übles Quergeschiebe ohne Zug nach vorn. Spielt so ein EM-Favorit? Die 2. Hälfte beantwortete diese Frage nicht. Zwei schnelle Kopfballtore gleich nach der Pause, dann war das Spiel eh gelaufen und die Ukrainer ergaben sich ohne große Gegenwehr in ihr Schicksal. Doch was haben diese Engländer echt drauf, mal abgesehen von ihrer Kopfballstärke? Noch immer sind sie ohne Gegentor, die Abwehr steht also sicher. Aber was wird wohl passieren, wenn doch mal ein Gegentor fällt? Können sie auch Spielaufbau gegen starke Gegner mit ungewöhnlichen Ideen? Die Dänen haben schnelle Angreifer, die höchst variabel agieren und oft die Seiten wechseln. Es wird ein interessantes Halbfinale, mit dem Heimvorteil für die Engländer. Es muss sich zeigen, ob das reicht.

Im Tippspiel gab es mal wieder einen Führungswechsel. David konnte in zwei der vier Viertelfinals punkten und ist jetzt vorn. Womöglich werden die Zusatzpunkte für die Europameistertipps und die torreichste Mannschaft entscheiden. Solange die Führenden ihre Tipps nicht abgegeben haben, verrate ich aber nichts... ;-) Auch unten gibt es einen erbitterten Kampf um die Rote Laterne. Ob es sich aber für eine Flasche Rotkäppchen-Sekt lohnt, 17 Monate mit dem Titel eines Tippspiel-Versagers leben zu müssen, sollten sich die Letztplatzierten vor der Tippabgabe gut überlegen... :-)

Auf spannende Halbfinalspiele freut sich
Robert

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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 13 und endlich Feierabend)


Vor dem EM-Viertelfinale Belgien – Italien (2. Juli 2021) in München
Heute Abend erlebe ich in München meinen Abschied als EM-Desinfizierer. Nach dem Ausscheiden unserer Kicker und dem letzten Spiel, das auf deutschem Boden stattfindet, habe ich tatsächlich fertig. Die EURO läuft zwar bis zum Finale noch neun Tage weiter, aber bitteschön ohne mich. Wie soll ich auch unter den gegebenen Bedingungen in Corona-Varianten-Hochburgen des Wahnsinns wie St. Petersburg, Baku oder London auch nur ansatzweise erfolgsversprechend gegenandesinfizieren? Deshalb habe ich gestern bei der UEFA meine Kündigung eingereicht. Hier vor der Allianz-Arena darf ich jetzt zum Abschluss aber nochmal fleißig FFP2-Masken mit buntem EM-Logo an die belgischen und italienischen Fans verteilen, die dann höchstwahrscheinlich doch kein Mensch aufsetzen wird. Gab es im letzten Jahr am 19. Februar nicht dieses ominöse Champions League-Spiel zwischen Bergamo und Valencia in Mailand, das als Superspreader-Event in die Geschichte einging? Aber das ist ja Schnee von gestern und jetzt sind wir in der Zwischenzeit alle wesentlich schlauer geworden – oder auch nicht.

Doch ich blicke keinesfalls zurück im Zorn auf die letzten Wochen. Ich bin viel herumgekommen, habe interessante Menschen kennengelernt und war zum Schluss zwar dicht, aber selbstverständlich immer vorschriftsmäßig nur bis auf anderthalb Meter dran an der deutschen Mannschaft und Jogi Löw. Der hat mir übrigens aus dem Ruhestand heraus einen wirklich netten Brief geschrieben, dessen Inhalt ich gerne an dieser Stelle mit allen deutschen Fußballfans wie folgt teilen möchte:
(Freiburg im Breisgau am 1. Juli 2021) „Mei lieber Dedel – heut schreib i dir an mei erschte Dag von mei vorzeitigsch Ruheständle. Geschtern Abend sind mir irgendwie hier wieder im schöne Breischgau angekomme. Es isch alles ruhig um eine herum. Es singe nur e paar Spätzle im Weinberg. Kei nervig Gschwätzle vom Müller-Thomas und kei nervig Gitarrengeschrammle von dere dri DFB-Jungspunde mehr. Unten plätschert munter s‘Bächle – ganz ohne doofe Wasserschlacht oder bunte Poolnudele wie im Campo. Es fühlt sich allesch irgendwie richtig an. Die Engländer ware auch schwer im Vorteil – im Wembley überall nur Engländer, aufe Sitze und aufem Plätzle. Wo kame die blosch alle her? Da war kei Schonks für unsre wackre Bube. Die Todesgrupp war wirklich e solche: alle Mannschafte naus nachem Achtelfinale – mir Deutsche zusamme mit dem Weltmeischter und dem Eurobameischter irgendwie in gute Gesellschaft. Alle jetsch in die Sommerferie: der Ronaldo, der Mbappé und der Leroy. Du wirsch di sicher frage, was macht der Jogi wohl als nägschdes. Das kann i dir verzähle: Ersch amal dirigiere mir als A-Promi für steuerfreie Kohle die Durischdegrupp durch die Weinberg vom Keller-Fritz, der wo früher mal mei DFB-Präsi war. Dann schreib mir mit die Leut von dere BILD-Zeitung irgendwie mei Autobiographie auf. Und dann übernehm mir im Herbscht den Job bei die ARD-Sportschauübertragunge von dere Fuschball-Länderspiel als Supermegaeckschperte von dem Schweini. Der arme Bub hat jetsch vor dies wirre Weible mit die lange blonde Haar Reißsausch genomme. Und die sollte mir nu auch noch als Altlascht mit übernehme. Aber die passt definitiv net in mei Profil nei. Da hab i gansch andere Vorstellunge. Des neue Weible an mei Seitle hat geschtern zugesagt – i verrat nur so viel: Ließ im Bundeskanschleramt meist mit Raute spiele und kann im Oktober ablösefrei wechsle. Na, schnackelts? Das ergibt e feines Bundesdreamteam mit högschde Kompetensch. Dir weiterhin alles Gute beim Desinfiziere. Mir sehe uns bestimmt auf irgendeins von diese siffige Bundesliga-Klos oder beim Eschprescho in irgendeine Freiburger Kaffeebar. Liebe Grüß von dei rüstig Rentnerle Jogi Löw!

Und wie geht’s nun mit mir weiter? Da mach ich mir keine Sorgen. Es gibt immer was zu tun in dieser zukunftssicheren Branche. Nach der dritten Welle folgt die vierte, fünfte oder sechste, Mutationen, Varianten, Inzidenzen, Risikogebiete, Schnelltests, Abstandsregeln, Warn-Apps, Masken, Blasen und zwischendurch immer wieder kräftig desinfizieren – das volle Programm! Das war’s dann an dieser Stelle von mir. Ich muss jetzt aber Schluss machen, denn da hinten erkenne ich schon von weitem die gefährliche Bayern-Variante von Stadler & Waldorf. Diese beiden Figuren muss ich mir nun auf den letzten Drücker wirklich nicht mehr antun. Aber die werden auch ohne FFP2-Maske in ihre Bayern-Loge gelassen. Mit diesem dreizehnten (diese Glückszahl ist wirklich reiner Zufall) Bericht endet nun meine EM-Mission. Macht’s gut mit oder ohne Fuschball und bleibt vor allem gesund – Euer Dedel!    



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EM-Kommentar vom 30.06.2021


Liebe Tippspieler*innen,

die Ära des Jogi Löw ist beendet, einige Jahre zu spät. Tschüß, Jogi, es ist gut, dass es vorbei ist! Die spätestens bei der Titelverteidigung 2018 offenbar gewordenen Abwehrschwächen konnten nie ausgemerzt werden und haben auch bei dieser EM zum frühen Ausscheiden geführt. Inklusive Achtelfinale hagelte es 7 Gegentore, unser Achtelfinalgegner hatte exakt Null. So etwas ist kein Zufall, das hat System. Aber Jogi redete ja lieber die eigenen Leute stark anstatt dem sog. defensiven Mittelfeld auch entsprechende Aufgaben zuzuteilen. Egal, vorbei. Jetzt darf Hansi übernehmen. Übrigens: Wieso heißen seit der verkorksten EM 2000 eigentlich alle deutschen Fußballbundestrainer wie sonst nur Kanarienvögel?

Ja, es hätte gestern auch anders laufen können. Hätte, hätte... Aber die einzige richtig gute Torchance hatte Werner (Sorte: "... kann man sammermal scho' au' reinmachen...") und der ist zuletzt nicht gerade als Torjäger aufgefallen. Andererseits die durch Hummels weggegrätschte Chance von Kane... - also unentschieden zur Halbzeit. Auch in der zweiten Hälfte waren Torchancen Mangelware, eigentlich gab es nur den Gewaltschuss von Havertz, den Pickford gut pariert. Ansonsten relativ wenig Strafraumaktionen, nur bei den englischen Standards wurde es stets spannend. Schließlich die letzte Viertelstunde, die Engländer machen das, was die Deutschen nicht ein einziges Mal hinbekommen: Ein Angriff wird von der Mitte nach außen verlagert und dann wieder scharf hereingespielt, schon steht es 1:0 für die Gastgeber. Müller versemmelt die größte Chance des ganzen Spiels, ein weiteres Mal von den Engländern die Kombination Mitte-Außen-Mitte... - das 2:0, schließlich noch drei völlig blödsinnige, panische Wechsel durch Jogi, und dann das Aus. Wenn man auf diesem Niveau gegen die Engländer seine wenigen Chancen nicht nutzt, fliegt man halt raus.

Wer nach dem Ausscheiden des deutschen Teams noch Lust auf Fußball hatte, bekam mit Schweden-Ukraine ein nur einseitig gegrilltes Stück Fleisch auf den Teller. Viel Körpereinsatz, z.T. über die Grenze des Erlaubten, und wenig konstruktives Spiel auf der einen Seite, aber auch zwei schöne Tore und drei Alutreffer auf der anderen. Nach dem gerechtfertigten Platzverweis für die Schweden war klar, dass sie sich nur noch ins Elfmeterschießen retten wollten. Das hätte fast geklappt, aber Dobvyk verhinderte mit einem Kopfball in der Nachspielzeit der Verlängerung die Strafstoßlotterie. Fußball kann grausam sein.

Im Tippspiel hat David den Rückstand zu Christina wettgemacht, die sich mehrfach verzockt hatte. Jetzt wird es spannend: Christina und Jan S. können nur in einem der Viertelfinals punkten, David aber in zwei. Und dann gibt es noch die Zusatzpunkte für richtig vorhergesagte Halbfinalisten... Es bleibt spannend an der Spitze. Und unten hat sich Martin vom Tabellenende gelöst. Mitunter ergeben scheinbar schräge Tipps eben doch unverhoffte Punkte...

Schöne EM-freie Tage wünscht
Robert

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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 12)



EM-Achtelfinale England – Deutschland (29. Juni 2021) in London
Welcome to Swinging London! Am heutigen Montagnachmittag reist Die Mannschaft mit dem Flieger an und ich bin erstmals tatsächlich mit dabei. Diese Ehre habe ich dem Bierhoff zu verdanken. Der faselte gestern immer was von der Blase, in die auf keinen Fall jemand von außen hineindürfe. Jogi würde das vermutlich mit „högschder Vorsicht“ bezeichnen. Klar ist, es soll sich keiner von uns auf der Insel eine Delta-Variante einfangen und deshalb bin ich nun auch noch der offizielle Corona-Blasenbeauftragte des DFB. Das nenne ich mal einen entspannten Job. Denn es gibt mit Spielern und Begleittross insgesamt 46 Blasenmitglieder und gemäß Statistik der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) 7.837.692.9540 Nicht-Blasenmitglieder. Außenstehende könnten vielleicht meinen, dass es gar nicht so einfach sei, rund 7,8 Milliarden Menschen von der DFB-Delegation fernzuhalten. Aber ich frage mal ganz ehrlich: Wer will derzeit schon was mit dem Deutschen Fußball-Bund zu tun haben? Es sei denn, er ist Inhaber einer juristischen Kanzlei, einer Unternehmensberatung oder Steuerfahnder oder Oberstaatsanwalt. Außerdem gibt es ja technische Hilfsmittel. Die UEFA hat nämlich in Zusammenarbeit mit dem deutschen Bundesgesundheitsministerium eine Corona-Blasen-Warn-App entwickeln lassen, die nach zehn Monaten Entwicklung jetzt nützliche Dienste versehen soll. Krisenpolitiker Jens Spahn ist jedenfalls geradezu begeistert von dem neuen Tool und auch Jogi Löw befürwortet für seine Jungs eine strenge Abschottung: „Mir könne unsch zum jetschige Zeitpunkt im Turnier nicht die geringschde Blaseschwäche erlaube.“ Die einzigen, die jetzt einen Antrag auf nachträgliche Blasenaufnahme gestellt haben, sind meine persönlichen Freunde Hoeneß und Rummenigge. Aber die habe ich dank der App mal gepflegt kalt abblitzen lassen. Was hat der Hoeneß anschließend einen Aufstand gemacht! Der lief plötzlich puterrot im Gesicht an und hatte gleich Schaum vorm Mund. Ich habe dem dann nur noch gesagt, er soll mal schnell in seine Fleischwarenfirma düsen. Da kann er sich dann meinetwegen gerne eine frisch gereinigte Blase besorgen und sich mit deren Hilfe anschließend als Presswurst einschweißen lassen. Dann ginge definitiv keine Ansteckungsgefahr mehr von ihm aus. Das hat dann wohl einigermaßen gesessen und die beiden Spaßbremsen sind irgendwann endlich abgezischt.

Am frühen Abend sind wir dann in London-Heathrow angekommen. Auf dem Flughafengelände kann man nur Menschen in Ganzkörperschutzanzügen sehen. Das erinnert ein wenig an den US-Film Outbreak mit Dustin Hoffman. Nur mit großer Mühe können wir die Grenzkontrolle passieren. Bekanntlich dürfen ja keine deutschen Fußballfans nach Great Britain einreisen. Wir sind uns zunächst nicht sicher, ob diese neue Maßnahme jetzt auch für deutsche Fußballer gilt. Aber Manager Bierhoff hat für solche Zwecke immer ein paar Panini-Alben mit im Gepäck. Solche kleinen Geschenke wirken manchmal wirklich Wunder. Mit dem schottischen Mannschaftsbus (der ist ja jetzt überflüssig) geht es vom Flughafen direkt ins noble Teamhotel London Marriott Regents Park. Der ganze Schuppen wurde vorab zur German Bubble erklärt. Deshalb dürfen wir die Bude bis zum Spielbeginn auch nicht verlassen. Das macht aber nichts, weil das Abschlusstraining im Wembley-Stadion von den englischen Gastgebern ohnehin kurzfristig abgesagt wurde. Man ist eben sowohl um die Gesundheit unserer Spieler als auch die der Grashalme auf dem Stadionrasen besorgt. Die Tommys und ihre Parks und Grünflächen – das ist wirklich eine besondere Geschichte. Aber das Programm für den Abend steht. Zunächst gibt es im holzgetäfelten Speisesaal Fish & Chips satt. Das hatten sich die Engländer Gündogan, Havertz, Rüdiger und Werner so gewünscht. Anschließend erläutert Jogi nochmal seine Dreierkette. Und zur Unterhaltung präsentiert Spaßvogel Thomas Müller auf der großen Videowall das legendäre Elfmeterschießen vom EM-Finale 1976, bei dem sein jetziger Ehrenpräsident Uli H. letztendlich die Kirsche in den Belgrader Nachthimmel zwitschert. Zum Abschluss bringt dann die neu formierte DFB-Boygroup mit Gnabry, Kimmich und Volland zur eigenen Gitarrenbegleitung auf persönlichen Wunsch von Jogi Löw den Klassiker Time to say good-bye zum Vortrage. Das reicht dann irgendwann und die DFB-Blase wird zur Nachtruhe abgeschlossen.

Am heutigen Dienstagmorgen desinfiziere ich zur Sicherheit alle Hotelgänge, das Frühstücksbüffet und vor allem Jogis Anzughose. Bei letzterer hatte es bisweilen immer mal wieder Beanstandungen gegeben. Dann erläutert Jogi Löw nochmal seine Viererkette. Habe ich mich vielleicht verhört. Oder will der jetzt aus seinen vier Briefen vorlesen? Eine richtige Viererkette kennt der Bundestrainer doch eigentlich nur noch aus seiner WG-Zeit in Freiburg. Als damals schwer Nikotinabhängiger hatte der nämlich immer vier Roth Händle in Serie auf Lunge geraucht. Vielleicht könnte er jetzt mal wieder auf das bewährte Konzept des Viererkettenrauchens zurückgreifen. Am späten Vormittag verkündet Thomas Müller die Aufstellung mit sich selbst ganz vorne im Zentrum. Er ist wieder fit und will es jetzt anscheinend wirklich wissen. Nach der klassischen Tea-Time geht es mit den beiden schottischen Mannschaftsbussen zum Wembley-Stadion. Dort haben sich rund 61.000 englische und 1.000 deutsche Fußballfans absolut Corona-gerecht in der Stadion-Blase versammelt. Die englischen Fans pfeifen sogar melodiesicher die deutsche Nationalhymne mit – ein Musterbeispiel britischer Fairness! Vor dem Anpfiff eine schöne Geste beider Teams. Selbst unser Jogi macht mit seiner frisch desinfizierten Hose den Kniefall von Wembley mit.

Ja – zum Spiel muss ich natürlich jetzt auch noch irgendwie was sagen. Es ging eigentlich ganz gut los. Dann wurde es zäh und zäher. Irgendwann standen alle deutschen Spieler gefühlt auf der Stelle. In solchen Momenten hätte man eigentlich nochmal den Kniefall wiederholen können. Zum Glück fiel den Engländern auch nicht viel ein. Dann war Halbzeit und unser Jogi zeigte sich in der Kabine „högschd zufriede“. Bewundernswert, wie genügsam dieser Mensch ist. Auch in die Halbzeit zwei startete unser Team recht munter und es gab sogar eine schöne Torchance durch Havertz. Dann folgte wieder Stillstand und Stellungskrieg gegen die Engländer. Insofern fiel deren Führungstreffer eher überraschend. Dann hatte unsere Stimmungskanone Müller bei seinem zweiminütigen Dauerlauf alleine auf den Torhüter zu anscheinend zu viele Optionen im Kopf, wie er seinen allerersten EM-Treffer denn nun erzielen möchte. Er entschied sich dann für die Beibehaltung seiner beeindruckenden Nullserie bei Europameisterschaften. Es bleibt nun bei einem eher tollen WM-Müller und einen eher trüben EM-Müller. Am Ende musste man dann auch noch konstatieren: Der Kane war ihr Schicksal und durfte sich über sein erstes EM-Tor freuen. Man muss auch gönnen können. Unsere Mannschaft hat mit ihrem finalen Auftritt eine ganze Nation einschließlich Gary Lineker glücklich gemacht. Da ging auch mir das Herz auf. Kurz nach dem Abpfiff wurde Jogi in der Kabine nochmal genau vermessen und es wurde ein Gesichtsabdruck vorgenommen. Nein – es handelte sich dabei nicht um Vorbereitungen für seine Einbalsamierung, sondern für die Erstellung eines Duplikats. Schon bald wird Jogi neben Boris Becker und Angela Merkel in der deutschen Abteilung von Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in London zu bewundern sein. Was für ein toller Abschluss eines denkwürdigen Abends!

Nach dem Spiel geht es mit der DFB-Blase gleich zum Flughafen. Gegen halb zwei Uhr nachts sind wir schon wieder in Nürnberg. Im Campo Adiletto gibt es anschließend noch eine kleine Mannschaftsfeier und die offizielle Verabschiedung von Jogi in „mei Pengschion“. Mein Job in der DFB-Blase ist damit erfüllt. Es war ein voller Erfolg: Keiner hat sich infiziert, insbesondere, weil sich vor allem auch unsere Abwehrspieler während des Spiels streng an die Abstandsregeln gehalten haben. So konnte die gefährliche Delta-Variante auch nicht von den englischen Spielern überspringen. Gegen halb sechs Uhr morgens verlasse ich das Camp, stecke noch zwei an die BILD-Zeitung und ans Kanzleramt adressierte Kopien von Jogis „Brief Nummer 1“ in den Postkasten und verlasse Herzogenaurach hoffentlich für immer. Das war's! Schon morgen ziehen hier die deutschen Handballer ein und bereiten sich auf die Olympiade vor. Wenn das mal kein schlechtes Omen ist.
 

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EM-Kommentar vom 29.06.2021


Liebe Tippspieler*innen,

was war das für ein Fußballtag! Ganze 23 mal musste der Ball gestern aus dem Netz gefischt werden. Herrliche Kopfballtore, schöne Weitschüsse, aber auch reingemüllerte Abstaubertore aus kurzer Entfernung - da war alles drin! Dazu diese hohen Temperaturen bis weit in die Abendstunden... Ja, wer gestern abend um kurz nach 18 Uhr auf der Hebbelwiese beim 13:10 für Mannschaft Bunt dabei war, hat richtig was erlebt. Und hinterher gab es für die meisten noch eine Kreuzimpfung von Dr. Steven mit eisgekühltem Astra. Man weiß ja nie, diese Delta-Variante soll ziemlich gefährlich sein...

Während wir noch am Spielfeldrand saßen und die vergangenen gut 90 Minuten Paroli laufen ließen (nur Hrubesch-Kenner wissen, was gemeint ist ;-) kam vom Mobiltelefon die Kunde, Spanien-Kroatien sei mit 3:3 in die Verlängerung gegangen und die Iberer schließlich sogar mit 5:3 in Führung. Seltsam, hatten wir das aufregendste Spiel der EM verpasst? Zum Glück gibt es Mediatheken... Frisch geduscht, mit einem weiteren kühlen Bier vor dem TV sitzend, ließen sich Frankreich und die Schweiz nicht lumpen und zogen nach. Der Weltmeister erstarrte in der ersten Halbzeit noch im eigenen System und kam überhaupt nicht über die schnellen Außen ins Spiel, die Schweiz lag nicht unverdient in Führung. Nach der Halbzeit dann Elfmeter für die Schweiz, die geschälte Banane lag bereit, der Weltmeister stand kurz vor dem Knockout. Aber er fiel nicht, Lloris hielt den Strafstoß und während die Eidgenossen sich noch ärgerten, drehte Benzema eiskalt mit zwei Toren in 90 Sekunden das Spiel. Als Pogba mit einem wunderbaren Weitschuss in den Winkel das 3:1 markierte, hätte ich keinen Kronkorken gegen eine Kiste Maisel's gesetzt, dass sich da noch was tut. Alles schien klar, Pogba führte einen gefühlt minutenlangen Ausdruckstanz auf, völlig sinnbefreit, ein Zeichen der französischen Überheblichkeit. Er sollte zum Ballett wechseln! Die Schweizer zeigten ihm nämlich, dass der Fußball nicht nur Schönspielerei belohnt, sondern auch Kampfgeist. Als die Franzosen sich bereits innerlich auf das Viertelfinale gegen Spanien vorbereiteten, spielen die Eidgenossen einfach weiter nach vorn und schafften noch den von mir nicht mehr erwarteten Ausgleich. Es folgte ein typischen Phänomen solcher Spiele: Der unerwartet noch in die Verlängerung gezwungene Favorit kann den Schalter nicht mehr umlegen, die Schweizer überstehen auch die 30 Zusatzminuten und verwandeln dann eiskalt ihre Elfmeter, während ausgerechnet Superstar Mbappé den letzten Strafstoß nicht unterbringen kann, weil Torwart Sommer toll reagiert. Das Aus für den Weltmeister und der Viertelfinaleinzug für die tapferen Schweizer. Ein Spiel für die ewige Fußballhistorie der Eidgenossen. Ganz großes Kino!

Mit dem Aus für die Franzosen haben sich für viele von uns die Europameister-Tipps in Luft aufgelöst. Tatsächlich hatte niemand(!) auf einen Sieg der Eidgenossen gesetzt - ein Novum im diesjährigen Tippspiel. Selbst bei Italien-Österreich hatte mit Jan-Malte zumindest einer auf den Außenseiter gewettet. Schnee von gestern, der Sieg der Schweizer hat zur Folge, dass im ersten Viertelfinale keine Punkte vergeben werden. Ein guter Grund, am Freitag wieder auf der Hebbelwiese aufzulaufen...

Heute abend gibt es nun einen echter Klassiker. Die Fußballwelt hält den Atem an und starrt nach Wembley. Alles kann passieren.

Ich bin bereit!
Robert


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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 11)

Vor dem EM-Achtelfinale England – Deutschland (27. Juni 2021) im Spielerhauptquartier in Herzogenaurach

Sonntagmorgen im Campo Adiletto in Herzogenaurach: Die Mannschaft ist schon fleißig dabei, ihre Turnbeutel zu packen. Denn schon morgen Nachmittag geht’s mit den beiden Mannschaftsbussen zum Flughafen nach Nürnberg und von dort weiter nach London. Ich sitze in Jogi Löws Präsidentensuite. Der Bundestrainer hat mich einbestellt. Es scheint ihm sehr wichtig zu sein. Auf seinem Schreibtisch liegen vier Briefumschläge sauber nebeneinander hindrapiert. Auf jedem ist in gut lesbarer Schreibschrift ein Datum verzeichnet: Dienstag, 29. Juni 2021 – Samstag, 3. Juli 2021 – Mittwoch, 7. Juli 2021 – Sonntag, 11. Juli 2021. Dann kommt der Jogi mit bedeutungsschwerer Miene in den Raum und eröffnet mir: „Mei lieber Dedel, du warscht mir während der letschte Woch immer irgendwie ei treue Seel und Helfer in der Not. Du hascht mich von dem gansche Altpapier befreit und das heilig Tüchle mit dem Blut von dem Schweini ansch Fuschball-Museum geschickt. Und du hascht irgendwie für Ordnung und Hygiene in dem ganze Saustall hier im Campo gesorgt. Dafür bin i dir aufs högschde dankbar. Aber jetsch hab i noch ei große Bitt: In dere vier Kuverts hier sind irgendwie mei Botschafte für die Nachwelt – und zwar je nach Ausgang von diese komisch Eurobameischterschaft. Schau mal aufs Datum: Wenn wir genau an derem Daach rausch außem Turnier sind, dann schick den Brief an die BILD-Zeitung. Die mache dann scho den Rescht.“ Anschließend drückt er mir mit einem Augenzwinkern die vier Umschläge in die Hand. Ab jetzt bin ich gewissermaßen Geheimnisträger. Aber warum soll die blöde BILD-Zeitung mehr wissen als ich? Zur Endkontrolle des Inhalts schaue ich deshalb kurz mal nach und öffne die Kuverts unter Wasserdampf – alter Spionagetrick! Nachfolgend gebe ich die vier Texte zu treuen Händen wie folgt der interessierten Fußball-Öffentlichkeit zur Kenntnis:

Brief 1: „Liebe Fuschball-Gemeinde, liebe Frau Bundeskanschlerin – heute im Achtelfinale rausch mit Applausch gege die blöde Engländer im hischdorische Wembley-Stadion. Das isch Schicksal wie damals beim Helmut Schön anno sechsundsechzig. Mir habe allesch gegebe und dasch hat irgendwie nich gereicht. I geh nu erhobenen Hauptes als Weltmeischder von Rio und Drainer-Legende in mei Ruheständle. Der Flick-Hansi musch es nu irgendwie richte. Ihm allesch Gude, euch alle und Ihne, Frau Bundeskanschlerin, allesch Gude. Esch war e schöne Zeit und i hab nu irgendwie fertig. Mit beschte Grüsch von dem Jogi Löw!“ (London, 29. Juni 2021)

Brief 2: „Liebe Fuschball-Gemeinde, liebe Frau Bundeskanschlerin – heute im Viertelfinale rausch mit Applausch gege die blöde Schwede im hischdorische Stadion von Rom. Das isch Schicksal wie damals beim Kaiser Fransch anno neunzig. Der hatte aber hier im Finale gewonne. Mir habe allesch gegebe und dasch hat irgendwie nich gereicht. I geh nu erhobenen Hauptes als Weltmeischder von Rio und Drainer-Legende in mei Ruheständle. Der Flick-Hansi musch es nu irgendwie richte. Ihm allesch Gude, euch alle und Ihne, Frau Bundeskanschlerin, allesch Gude. Esch war e schöne Zeit und i hab nu irgendwie fertig. Mit beschte Grüsch von dem Jogi Löw!“ (Rom, 3. Juli 2021)

Brief 3: „Liebe Fuschball-Gemeinde, liebe Frau Bundeskanschlerin – heute im Halbfinale rausch gege die blöde Tscheche im hischdorische Wembley-Stadion. Das isch Schicksal wie damals beim Berti Vogts anno sechsundneunzig. Der hatte aber im Finale hier gewonne. Mir habe allechs gegebe und dasch hat irgendwie nich gereicht. I geh nu erhobenen Hauptes als Weltmeischder von Rio und Drainer-Legende in mei Ruheständle. Der Flick-Hansi musch es nu irgendwie richte. Ihm allesch Gude, euch alle und Ihne, Frau Bundeskanschlerin, allesch Gude. Esch war e schöne Zeit und i hab nu irgendwie fertig. Mit beschte Grüsch von dem Jogi Löw!“ (London, 7. Juli 2021)

Brief 4: „Liebe Fuschball-Gemeinde, liebe Frau Bundeskanschlerin – heute im Finale Sieg gege die geile Franschos im hischdorische Wembley-Stadion. Das isch Schicksal wie damals beim Helmut Schön. Der war auch Welt- und Eurobameischder. Mir habe allesch gegebe und dasch hat irgendwie gereicht. I geh nu erhobenen Hauptes als Weltmeischder von Rio und Eurobameischder von London in mei Ruheständle. Mei Hilfsdrainer Flick-Hansi kann mich mal irgendwie. Ihm trotschdem allesch Gude, euch alle und Ihne, Frau Bundeskanschlerin, allesch Gude. Esch war e schöne Zeit und i hab nu irgendwie fertig. Mit beschte Grüsch von dem EM-Sieger Jogi Löw!“ (London, 11. Juli 2021)

Ich muss dazu wirklich sagen: Respekt! Der Jogi ist wirklich ein abgewichster Taktik-Fuchs und hat tatsächlich irgendwie für alle Eventualitäten vorgesorgt. Jetsch schwätze i auch scho irgendwie wie dere Jogi. Nein – diese vier Briefe hüte ich wie meinen Augapfel und schicke sie hinterher komplett ins DFB-Fußballmuseum nach Dortmund. Diese Scheiß-BILD-Zeitung kann mich mal! Jogis Top-System mit der Vierer-Briefkette muss ganz einfach vollständig erhalten bleiben. Das bin ich mir und allen anderen Fußballfans schuldig. So – jetzt muss ich gleich zum Bierhoff. Von dem bekomme ich die Einweisung für die nächsten Tage. Ich sage nur kurz: London calling!

P.S.: Ein guter Freund aus dem hohen Norden schickte mir übrigens gestern am frühen Abend die Nachricht, dass der THW Kiel in einem packenden Saisonfinale seinen Titel verteidigt hat und zum 22. Mal deutscher Handballmeister geworden ist. Das mag möglicherweise kaum einen Fußballfan die Bohne interessieren. Aber es gibt eben auch noch andere tolle Sportarten, die in Corona-Zeiten irgendwie überleben mussten. Seit September 2020 hatten die Handballer immerhin rund 60 Pflichtspiele zu absolvieren und für einige geht es nach nicht mal einer Woche Urlaub mit der Vorbereitung für die Olympischen Spiele weiter. Mein besonderer Respekt gebührt allen Spitzensportlern, die das unter diesen Bedingungen irgendwie hinbekommen. Mögen sie alle gesund aus dieser Nummer herauskommen!

[Anmerkung des Website-Betreibers: Die Hebbelkicker bestreiten seit 40 Jahren pro Jahr etwa 75 Spiele pro Kalenderjahr, auf allerhögschdem Niveau... ;-]


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EM-Kommentar vom 28.06.2021

Liebe Tippspieler*innen,

gerne hier noch einmal: Gruppenphase und Taktieren sind vorbei, jetzt ist jedes Spiel in Endspiel! Und da wollten die Waliser diesmal hin. Zugegeben, ein ambitioniertes Unterfangen.... Immerhin, sie attackierten die Dänen früh und spielten frech nach vorn. Bale verpasste in der 10. Minute nur extrem knapp die Führung. Man wird sich im Westen der Briten-Insel noch lange fragen: Was wäre gewesen, wenn...? Denn kurz danach war Schluss mit lustig, die Dänen übernahmen das Kommando. Es folgte ein begeisterndes Spiel unserer nördlichen Nachbarn, die alles reinwarfen, aber auch die deutlich bessere Spielanlage hatten, viel ideenreicher als die Waliser. Und sie hatten die besseren Einzelspieler. Kasper Dolberg schoss zwei schöne Tore und es folgten noch zwei weitere zu einem am Ende nie gefährdeten 4:0-Sieg. Dänemark steht im Viertelfinale, ein toller Erfolg. Gegen sicher nicht unschlagbare Tschechen ist sogar noch mehr drin.

Abends mühten sich dann die Italiener gegen Österreich bis in die Verlängerung, um schließlich mit 2:1 die Oberhand zu behalten. Das schnelle Konterspiel wurd von den Ösis geschickt geblockt, da kamen die Azzuri zumindest in den ersten 90 Minuten kaum durch. Dann in der Verlängerung 2 Tore und man dachte, alles sei geritzt. Aber Österreich zeigte Comeback-Qualitäten. Und wer Tore macht wie dieser Kalajdzic, ein 2 Meter-Mann (ja, 200 cm!), ein verhinderter Basketballer, der dann in Kniehöhe den Kopfball ansetzt und dem verdutzten Donnarumma die schöne Serie beendet, der hätte mit diesem nimmermüden Einsatz auch einen Viertelfinaleinzug verdient. Doch das Bessere ist des Guten Feind und Italien steht in der Runde der letzten Acht. Vielleicht ist dieses enge Spiel ein Weckruf für die Azzuri: Flexibilität ist bei dieser EM gefragt, und die mussten die Italiener erst entwickeln. Am Ende hat es geklappt.

Nix lief diesmal im Achtelfinale für unsere lieben Nachbarn aus dem platten Land im Westen. Nie kamen die Oranjes richtig in ihr Spiel, ganz selten ging es mal richtig schnell nach vorn, weil auch die Tschechen ihren Gegner gut beobachtet und die richtigen Schlüsse gezogen hatten. Dennoch hatte auch Oranje seinen Was wäre gewesen, wenn...?-Moment: Kurz nach der Pause, dieser unglaubliche Balldiebstahl des tschechischen Torwarts Vaclik gegen Malen, der sich großartig durch die tschechische Abwehr durchgespielt hatte und den Ball eigentlich nur noch am Torwart vorbeilegen musste. Ja, eigentlich... Dann die blöde Rote Karte, das erste Gegentor - und Holland schien paralysiert. Alle Niederländer hatten sich nach der größtenteils begeisternden Vorrunde schon im Viertelfinale gesehen, aber es kam wie 2008, nachzulesen weiter unten in meinem Kommentar vom 22.06.: "Scheiß Frühform!". Jetzt stehen die Tschechen in der nächsten Runde und sind gegen Dänemark nicht chancenlos.

Am Abend dann das Topspiel des Wochendes: Weltranglistenerster gegen amtierenden Europameister! Zu Beginn war das ein langweiliger, sehr schematischer Kick, beide Teams hatten großen Respekt voreinander, das erste Ziel war Ballsicherung. Erst mit dem Tor durch Thorgan Hazard änderte sich das, nun musste Portugal kommen. De Bruyne gab kurz nach der Halbzeit auf und nun spielte fast nur noch Sportugal. Belgiens lange Bälle auf Lukaku versandeten am portugiesischen Strafraum, es blieb bei dem einen, dem goldenen Torschuss von Hazard. Ronaldo & Co mühten sich ab, aber die belgische Abwehr zeigte jetzt auch ihre Defensivqualitäten, ließ nicht wirklich viel Gefährliches zu. Ein Kopfball von Bernardo Silva, ein Pfostenschuss von Guerrero, aber kein Tor. Am Ende sprachen alle, wirklich alle wesentlichen Statistiken für Portugal. Nur eine nicht, die Entscheidende, die der geschossenen Tore.

Im Tippspiel bleibt Christina vorn, jetzt mit 6 Punkten Vorsprung. Nur 4 Teilnehmer*innen hatten den Tschechen einen Sieg gegen die Holländer zugetraut und dafür gab es dann verdiente Punkte. Jörg hatte übrigens doch seine Achtelfinaltipps abgegeben, sie waren mir irgendwie entgangen. Die Tabelle habe ich mit seinen Punkten aktualisiert. Heute abend ist Hebbelkick dran, die Aktualisierung kommt also erst gegen 21 Uhr. Und am Dienstag steht der große Klassiker an. Jogi wird doch wohl nicht ausgerechnet mit einer Niederlage gegen Engand in Rente gehen wollen. Oder doch...?

Auf spannende Duelle freut sich

Robert


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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 10)


EM-Achtelfinale Wales – Dänemark (26. Juni 2021) in Amsterdam: 0:4

Nach drei Tagen Erholungspause geht es jetzt endlich mit der richtigen EM los. Man brauchte sage und schreibe 36 Spiele, um letztlich acht lahme Luschen aus dem Turnier zu entsorgen. Deutschland war von dieser aufwendigen Aufräumaktion diesmal glücklicher Weise nicht betroffen. In früheren Zeiten bestand die komplette EM-Endrunde aus acht Mannschaften. Aber bevor jetzt der berechtigte Kommentar „Opa erzählt vom Krieg“ kommt, starte ich heute früh lieber zu meiner nächsten EURO-Mission. Amsterdam ist meine insgesamt neunte EM-Stadt und der kurze Flug von München ist schnell und schmerzlos überstanden. Der ganze Wahnsinn dieser Klima-ignorierenden Flugzirkuskarawanenveranstaltung zeigt sich alleine schon darin, dass der Gruppensieger Niederlande sein Achtelfinale morgen abend auswärts im vollgepackten Corona-Frei-Stadion von Budapest spielen muss, während Gruppensiegerkollege England auch sein viertes Spiel im heimischen Wembley-Stadion (dann vermutlich vor 60.000 Zuschauern mitten im Coronavirus-Mutationsvarianten-Verbreitungsgebiet) gegen unsere Kicker austragen darf. Die Oranjes mussten also die heimische Johan-Cruyff-Arena räumen und ihre gut gewärmten Plätze für die Fans aus Wales und Dänemark (in deren Heimstadion in Kopenhagen spielen am Montag übrigens die Kroaten gegen die Spanier) freimachen. Diese 55.500 Sitzschalen gilt es also jetzt frisch zu desinfizieren und gleichzeitig von unerwünschten Spuren von Poffertjes, Matjes, Genever und Erbrochenem zu befreien. Aber das kenne ich ja mittlerweile – das ist sozusagen das Brot-und-Butter-Geschäft eines Desinfizierers. Bei meiner Arbeit werde ich von fröhlichen jungen Holländern mit Rastalocken tatkräftig unterstützt. Die sehen lustigerweise alle wie früher Ruud Gullit aus. Und sie rauchen den ganzen Tag Gras, das hier bekanntlich in so genannten Kaffeegeschäften käuflich zu erwerben ist. Was für ein derber Qualm aus der dicken Tüte! Mir ist schon ganz blümerant zumute. Ansonsten ist die Stimmung bestens hier in der Stadt der vielen Grachten. Ich habe auch begeisterte Abnehmer für meine Restbestände an Regenbogenfähnchen gefunden. Die kommen Anfang August bei der Amsterdam Gay Parade zum Einsatz.

Am heutigen Samstag sind insgesamt 16.000 Zuschauer zugelassen. Die Dänen sind mit geschätzt 9.000 Fans deutlich im Vorteil. Für die Reise nach Amsterdam nehmen sie sogar eine mehrtägige Quarantäne in Kauf. Die kann aber glücklicherweise anschließend im Rotlichtmilieu abgewohnt werden. Die Vermieterinnen dieser speziellen Unterkünfte konnte man sich vorher Corona-gerecht im Schaufenster aussuchen. Auf diese Weise kommen letztlich alle auf ihre Kosten. Die Holländer waren schon immer überaus geschäftstüchtig. Was den dänischen und walisischen Fans aber vorher nicht ganz klar war, ist die Tatsache, dass die von den betreffenden Damen angebotenen Dienstleistungen ausschließlich per Videokonferenz aus dem Homeoffice erbracht werden. Safety first gilt natürlich nicht nur beim Fußball. In diesem Fall heißt es also 1:0 für Holland, obwohl die erst morgen gegen Tschechien spielen.

Kommen wir aber jetzt zum ersten Achtelfinale, das ich auf einer der 39.500 freien und vorher von mir selbst desinfizierten Sitzschalen bequem auf der Haupttribüne verfolgen kann. Beide Mannschaften haben bisher positiv überrascht – Corona-mäßig natürlich ausschließlich negativ. Wales hat sich in einer schwierigen Vorrunde als Gruppenzweiter durchgesetzt. Nach 2016 haben die Zweitbriten wieder die K.-o.-Runde einer Europameisterschaft erreicht. Beim letzten Mal rauschten sie an den englischen Rivalen vorbei sogar sensationell bis ins Halbfinale durch. Aber so weit ist es diesmal noch lange nicht. Nach dem großen Schock im ersten Vorrundenspiel haben es die Dänen zu ihrer großen Erleichterung mit dem Sieg im dritten Gruppenspiel noch auf den letzten Drücker ins Achtelfinale geschafft. Erinnerungen an 1992 werden wach, als sie im Finale gegen Deutschland nachweislich in Badelatschen antraten und mit einem lockeren 2:0 sensationell Europameister wurden. Auch diesmal haben sich die Spieler in Rot-Weiß etwas Besonderes ausgedacht. Alle laufen heute mit der Rückennummer Zehn und dem Namen Christian Eriksen hinten auf dem Trikot auf. Das erschwert zwar grundsätzlich die Unterscheidbarkeit, ist aber gut für die Statistik, wenn alle dänischen Tore zwangsläufig von Christian Eriksen geschossen werden. UEFA und Schiris sind zunächst etwas ratlos, wie sie mit dieser Tatsache umgehen sollen. Aber letztlich ist doch eigentlich völlig egal, wer die Tore schießt, oder? Gareth Wales und seine Kameraden kommen mit dieser Variante offensichtlich überhaupt nicht zurecht. Die Zuteilung passt irgendwie nicht. Man kann sich nicht so recht entscheiden, wer denn nun diesen omnipräsenten Christian Eriksen eigentlich decken soll. Als man sich endlich einigen kann, ist das Spiel leider auch schon vorbei. In der 27., 48., 88. und 94. Minute hat die Nummer Zehn der Dänen eiskalt zugeschlagen, und der vierfache Torschütze wird nach dem Spiel völlig verdient zum Star of the Match gekürt. Dänemark steht im Viertelfinale – wer hätte das vor genau zwei Wochen noch gedacht? Der Jubel der Fans ist grenzenlos. Da trinkt man statt Carlsberg notfalls auch mal ein Heineken mehr und begibt sich anschließend gerne in die oben bereits beschriebene Quarantäne. Wir wünschen den Dänen jedenfalls weiterhin viel Spaß mit Safer Sex in Amsterdam. Für deren Fußballer geht es im Viertelfinale am nächsten Samstag gegen die Holländer oder Tschechen. Gespielt wird dann übrigens weder in Kopenhagen noch in Amsterdam, sondern in meiner erklärten Lieblings-EM-Stadt Baku am Arsch der europäischen Fußballwelt. Die EURO-Karawane fliegt weiter, immer weiter!

Mein Weg führt mich am selben Abend allerdings nicht nach Aserbaidschan, sondern über Nürnberg zurück ins Campo Adiletto nach Herzogenaurach. Jetzt bin ich dort gefordert, um auch Jogi Löws möglicherweise letzten Weg wie bisher vorschriftsmäßig zu desinfizieren und hygienetechnisch zu begleiten. Dadurch entgehen mir zwar die beiden letzten noch fehlenden EM-Städte Glasgow und Budapest, aber dieses kleine Opfer bringe ich gerne. Denn jetzt geht es gegen England in der Höhle der drei Löwen um alles oder nichts – Drama, Baby
 


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EM-Kommentar vom 24.06.2021

Liebe Tippspieler*innen,

das Leben ist kein Ponyhof und mitunter gibt es Dringlicheres als Fußballkommentare, z. B. wichtige Arbeiten. Daher kommt erst heute abend ein kurzer Rückblick auf den letzten Vorrunden-Spieltag. Selten musste ich unserem lokalen Käseblatt so Recht geben wie bei der kurzen Notiz auf Seite 1 am Donnerstag: "Nach dem mühevollen 2:2 [...] steht die lange erschreckend hilflose und vom Außenseiter fast düpierte DFB-Elf im Achtelfinale". Damit ist eigentlich alles gesagt. Leon GoRETTERzka hat Jogi noch eine kurze Verlängerung der Arbeitszeit  besorgt, aber nach diesem taktischen Offenbarungseid des Noch-Bundestrainers können wir froh sein, dass es nach der EM keine lange Debatte über dessen Fehler geben wird. Eigentlich ist er längst weg, und im Nachhinein betrachtet waren die vier Jahre nach dem Gewinn des Confetti-Cups 2017 verschenkte Zeit. Jetzt geht es noch gegen England und man stelle sich bloß mal vor, Jogi vercoacht zum Abschied auch noch das Duell gegen diesen Lieblingsgegner der DFB-Elf. Mehr oder weniger deutlich wurde von diversen Expert*innen nach dem Ungarn-Spiel aufgezeigt, wie dämlich und verschwenderisch es war, gegen die Mayaren mit einer Fünfer-Kette anzutreten. Hat Jogi die Fußballentwicklung der letzten Jahre im Freiburger Straßencafé verschlafen? Sollte er nicht lieber sofort aufhören? Besser wäre es. Friedhelm Funkel könnte sicher kurzfristig übernehmen...

Die anderen Spiele am Mittwoch verliefen ähnlich torreich wie die deutsche Fast-Blamage gegen Ungarn. Spanien benötigte ein Beachvolleyball-Eigentor des slowakischen Keepers als Kickstarter, damit der iberische Express ins Rollen kam. Ob der Ex-Europameister aber tatsächlich so gut ist wie ihn z. B. Christoph Kramer sieht? Es bleiben Zweifel, gesät von endlosen Ballstaffetten ohne Tempo und Torgefahr gegen Polen und Schweden. Letztere holten einen am Ende glücklichen Sieg gegen Lewandowski & Co und damit den Gruppensieg. Nun kommt es zum Duell mit der anderen gelb-blauen Mannschaft, den Ukrainern. Da ist das Viertelfinale glatt drin. Spannend wird im Achtelfinale das Spiel Belgien-Portugal. Wieder haben sich die Sportugiesen als Gruppendritter ins Achtelfinale gemogelt und man denkt, sie müssten doch bald rausfliegen. Aber Ronaldo und seine Mitstreiter haben Frankreich getrotzt und sind auch gegen die Nummer 1 der Welt nicht chancenlos. War das Spiel Deutschland-Portugal womöglich ein Ball Paradox? Spielten die Deutschen über und die Sportugiesen unter ihrem Niveau? Einiges spricht dafür, aber nur das Achtelfinale weist uns den Weg. Mögen die Besseren gewinnen. Es müssen ja nicht ausgerechnet die Engländer sein...

Ein spannendes Achtelfinal-Wochenende wünscht
Robert


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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 9)


EM-Vorrundenspiel Deutschland – Ungarn (23. Juni 2021) in München: 2:2
Nach meiner insgesamt achten Station befinde ich heute wieder in der Heimat. Es fehlen mir jetzt nur noch Amsterdam, Glasgow und Budapest in meiner EM-Sammlung. Aber ob ich mir im Achtelfinale die ungarische Hauptstadt überhaupt antun soll, darüber muss ich nochmal schwer nachdenken. Mir gehen die verstörenden TV-Bilder aus dem Spiel der Ungarn gegen Frankreich nicht so recht aus dem Kopf. Bei den beiden Heimspielen der Ungarn veranstalteten 56.000 euphorisierte bzw. mehr oder weniger durchgeknallte Fans ohne Abstand und Schutzmaske auf ihre Weise eine ganz spezielle Querdenker-Demo. Man kann nicht einmal behaupten, dass es sich dabei um Corona-Leugner gehandelt hat. Nein – das Corona-Virus hat sich per staatlichem Beschluss offensichtlich komplett aus Ungarn verabschiedet. Vielleicht unterliegt es auch einem strengen Einreiseverbot und ist deshalb wie seinerzeit der unerwünschte Flüchtlingsstrom an den Außengrenzen gestoppt worden. Das nennt man dann wohl konsequentes staatliches Handeln. Aber möglicherweise wirkt das von Ministerpräsident Orbán bei seinem russischen Amtskollegen Putin bestellte Sputnik-Vakzin in Kombination mit heimischer Paprika und Knoblauchwurst ja so ähnlich wie ein Wundermittel. Auf solche eher traditionellen Methoden steht nämlich unser ungarischer Staatenlenker ganz besonders. Dagegen kann er mit knienden Fußballern oder regenbogenfarbenen Kapitänsbinden eher weniger anfangen. Vielleicht bin ich doch noch nicht reif für einen Besuch der ungarischen Hauptstadt und verschiebe den bis zur nächsten passenden Gelegenheit bei irgendeiner EM oder WM. 

Heute am Dienstagnachmittag bin ich zur Abwechslung mal wieder im Basislager der deutschen Mannschaft, von dem aus der Aufstieg bis ganz nach oben auf den EM-Thron geplant ist. Das ist jedenfalls der große Traum von Jogi Löw, denn dieser Titel fehlt ihm noch. Dafür ist er sogar über seinen eigenen Schatten gesprungen und hat die vorher von ihm selbst ausgemusterten Altinternationalen Müller und Hummels wieder in den Kader aufgenommen. Aber genau deshalb steht jetzt ziemlicher Ärger ins Haus. Plaudertasche Müller hat sich beim Spiel gegen Portugal am Knie verletzt und jetzt wollen ihn die Bayern-Funktionäre Hoeneß und Rummenigge persönlich aus dem Lager abholen, um ihn bis zum Beginn der nächsten Bundesliga-Saison in Watte zu packen. Außerdem weigern sich die beiden, ihre Allianz-Arena zum nächsten Abendspiel am Mittwoch in Regenbogenfarben erleuchten zu lassen (O-Ton Hoeneß: „So ein neumodischer Schmarr‘n – Rot und Weiß reichen doch völlig!“). Uli und Kalle sind jedenfalls auf Krawall gebürstet, was dem sensiblen Breisgauer Jogi überhaupt nicht passt. Jetzt muss ich ihm also mal wieder aus der Patsche helfen. Denn erst in zwei Stunden fährt der Mannschaftsbus mit den Spielern nach München zum Teamhotel ab. Also geht es jetzt darum, ausreichend Zeit zu schinden, um den lädierten Müller-Thomas von seinen angepissten Bayern-Chefs fernzuhalten. In der ersten Stunde gelingt es mir ganz gut, die beiden in der am Eingang des Camps eingerichteten Corona-Teststation ein wenig zu beschäftigen. Zunächst lasse ich mir deren FFP2-Masken zeigen. Anhand des dort aufgedruckten Nummerncodes ergibt meine umfängliche Recherche, dass es sich offensichtlich um zwei dieser Spahn’schen Schrottmasken handelt. Daraufhin schicke ich sie noch einmal zurück nach Downtown Herzogenaurach in die dortige Apotheke zum Maskenkauf. Eine weitere halbe Stunde später stehen die Bayern-Funktionäre schon wieder auf der Matte. Die sind jetzt so richtig auf Zinne, können aber immerhin ordnungsgemäße Masken vorweisen. Ich erkläre den beiden, dass ich jetzt einen Antigen-Schnelltest mit ihnen durchführen werde und lasse mir hierfür alle erforderlichen Unterlagen vorzeigen, um mögliche Risiken für wen auch immer auszuschließen. Die Personalausweise, Führerscheine und Gesundheitskarten sind soweit in Ordnung. Aber bei meiner kleinen Zusatzfrage („Sind Sie eigentlich vorbestraft?“) kommt der frühere Bayern-Präsident und Experte für Devisentermingeschäfte doch schwer ins Schwimmen. Als er mir deshalb persönliche Vorhaltungen macht („So mies bin ich nicht mal im Sanatorium in Landsberg behandelt worden!“), schicke ich ihn zur Abkühlung erstmal zurück in die Wartezone. Das bringt noch einmal eine weitere halbe Stunde Luft. Doch irgendwann kann ich den Corona-Test nicht mehr weiter herauszögern. Jetzt hilft nur noch ein wenig Gewalt. Ich wundere mich anschließend selbst, wie es mir gelungen ist, ein fünfundzwanzig Zentimeter langes Wattestäbchen vollständig in den Nasenlöchern der beiden Bayern-Bosse verschwinden zu lassen. Da musste ich ganz schön drücken. Aber diese Vögel hatten schon immer ein großes Näschen, zwar nicht so wie der seinerzeit schwer verschnupfte Daum, aber eben anders. Doch irgendwann setzt auch bei denen das Schmerzempfinden ein. Ich fühle mich schuldlos. Habe ich vielleicht dieses lästige COVID-19 erfunden? Hoeneß wird zum zweiten Mal ausfallend („Haben sie Dir ins Hirn geschissen – ich will jetzt auf der Stelle meinen Spieler mitnehmen!“). Jetzt muss ich auch mal das Zuckerbrot auspacken und lobe die beiden für die absolut besten Nasenabstriche, die wir heute gemacht haben (es waren auch die einzigen.). Vielleicht war ein wenig viel Blut mit im Spiel, aber irgendwas ist ja immer. Zwei dicke Tampons wie beim Tschechen Schick vor dem Elfmeterschuss in die malträtierten Nasenlöcher hineingestopft und dann stimmt die Richtung wieder. Mit ein wenig Zeitspiel liegt nach einer weiteren halben Stunde das positive Ergebnis vor, das in diesem Fall natürlich negativ ausgefallen ist. Die frohe Botschaft verkünde ich dem Uli und dem Kalle genau in dem Moment, als der Mannschaftsbus das Adidas-Werkstor passiert. Der vorne sitzende Jogi macht den Daumen hoch und hinten textet Thomas Müller vermutlich mit seinem spannenden Krankenbericht die wehrlosen Kollegen zu. Puh – das war mal eine echte Punktlandung! Wutschnaubend verlassen die Bayern-Granden in einem fetten Dienst-BMW das Werksgelände. Hoeneß brüllt mir zum Abschied noch zu: „Das wird Folgen haben – das erzähle ich alles dem Herbert Hainer!“ Keine Ahnung, wen er damit meint. Aus meiner Sicht ist heute alles super gelaufen. Der Jogi ist glücklich und die zwei Ober-Bayern sind negativ. Jetzt gönne ich mir erstmal ein paar hochprozentige Entspannungsgetränke an der Poolbar.

Am Mittwochmorgen werde ich gleich nach dem Frühstück in das Büro von so einem Adidas-Oberfuzzi zitiert. Vielleicht ist das dieser ominöse Herbert, oder auch nicht. Dann kommt auch noch der Bierhoff dazu. Mir schwant zunächst nichts Gutes. Aber mein kleiner gestriger Disput mit den Bayern-Bossen ist gar nicht das Thema. Die beiden faseln etwas von Aufbruch, Veränderung und Frieden als Zeichen der Toleranz und Akzeptanz, der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht. Und dieses alles symbolisieren einerseits die Regenbogenfahne und andererseits die drei Streifen und der DFB. Darauf muss man erstmal kommen. Es folgt dann eine einstündige Power-Point-Präsentation mit dem üblichen Marketinggedöns. Am Ende sagt Bierhoff nur: „Die große Light-Show mit dem ganzen Stadion hat die UEFA nicht genehmigt. Jetzt machen wir’s wie die Sparkasse mit den Fähnchen!“ Er zeigt auf den LKW, der auf dem Parkplatz vor dem Eingang steht. Dort werden gerade drei Europaletten auf die Hebebühne geschoben. Der Adidas-Fuzzi ergänzt: „Zehntausend Fußball-Fans werden heute abend im Stadion diese Fähnchen der Hoffnung schwenken – das gibt ein großartiges Bild.“ Er drückt mir ein Muster in die Hand. Auf der Vorderseite prangen die Regenbogenfarben und auf der Rückseite die beiden Logos von Adidas und vom DFB mit dem Spruch „Gemeinsam für Vielfalt und gegen Diskriminierung!“ Das nenne ich mal Einfallsreichtum. Was jetzt kommt, ist mir in diesem Moment klar. Die Winke-Winke-Teile müssen natürlich unters Fußballvolk gebracht werden. Und dreimal darf jetzt geraten werden, wer das heute Abend machen soll. Statt entspannt am Pool zu liegen, sitze ich jetzt am frühen Nachmittag auf dem Beifahrersitz des besagten LKW des ortsansässigen Frachtspeditionsdienstes Hans Wormser AG. Auf dem Weg nach München erzählt mir Fahrer Zbigniew ein paar schmutzige polnische Witze. Gegen fünf Uhr treffen wir bei der Allianz-Arena ein. Es folgt dann reine Fleißarbeit. Heute also mal eher Transpiration statt Desinfektion. Am Ende sind alle Fans mit den bunten Fähnchen versorgt. Jetzt kann es also endlich losgehen! Immerhin wird heute Abend auch noch ein wenig Fußball gespielt.

Zu diesem Zweck wurde der WM-Klassiker von 1954 noch einmal für die EURO 2020 recycelt. Nur die Favoritenrolle hat sich diesmal etwas geändert. Trotzdem ist die Nervosität im gesamten DFB-Tross mit Händen zu greifen. Das bekomme ich hautnah mit, denn ich habe zur Belohnung für meinen Sondereinsatz eine VIP-Karte für die Ehrentribüne abgestaubt. Ein paar Reihen hinter mir entdecke ich zwei missgelaunte ältere Herren mit Bayernschal und jeweils einem dicken Tampon im blutverkrusteten Nasenloch. Seit wann dürfen Waldorf & Statler ins Stadion? Denen sollte ich vielleicht jetzt besser nicht begegnen. Bierhoff zappelt direkt neben mir auf seinem Sitz herum und hat sich schon vor dem Anpfiff sämtliche Nägel abgekaut. Mein Gott, es ist doch nur Fußball! Deutschland gegen Ungarn: Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tor, Tor, Tor! Toni, du bist ein Fußballgott! Aus, aus, das Spiel ist aus – Deutschland ist Weltmeister! Elf Freunde schaffen das Wunder von Bern bei Fritz-Walter-Wetter. Das ist der Mythos, das ist die Legende. Die Studie Doping in Deutschland hat dann später dokumentiert, dass die deutschen Spieler vor dem Finale vom Mannschaftsarzt mit Pervitin vollgepumpt wurden. Dieses Mittel hatte schon bei deutschen Landsern im Kriegseinsatz wahre Wunder bewirkt. Aber höchstwahrscheinlich wurde auch beim ungarischen Wunderteam etwas nachgeholfen. Vielleicht hatten die im Mannschaftsbus ein Fässchen Tokajer in die Schweiz eingeschmuggelt. Aber egal – Boss Rahn hätte sicherlich auch ohne Doping mit seiner linken Klebe zum 3:2 getroffen. Doch für diese alten Meriten können sich Jogis Jungs heute abend absolut nichts kaufen. Die neuen Ungarn sind zwar kein Wunderteam, aber eine vom italienischen Trainer extrem gut organisierte und tief in der eigenen Hälfte stehende Truppe mit einem exzellenten Bundesligatorwart zwischen den Pfosten. Und schon nach gut zehn Minuten grüßt das 54er-Murmeltier vom Berner Wankdorf-Stadion: Wieder mieses Fritz-Walter-Wetter und wieder geht Ungarn schnell mit 1:0 in Führung. Bis zum Ende der ersten Hälfte bessert sich weder das Wetter noch die Leistung des deutschen Teams. Auf der Ehrentribüne laufen derweil die grantelnden Bayern-Senioren Waldorf & Statler zur Höchstform auf. Es ist schier zum Heulen! Da nützen auch 10.000 bunte Regenbogenfähnchen nichts. So geht es leider auch in der zweiten Halbzeit weiter. Über eine Stunde ist gespielt und Bierhoff neben mir hat sich seine Fingernägel komplett blutig gekaut. Der unerwartete Ausgleich schockt dann nicht nur die Zuschauer, sondern auch die deutschen Spieler unten auf dem rutschigen Münchner Geläuf. Schon noch gut einer Minute ist der alte Abstand wiederhergestellt. Zu allem Überdruss heißt der ungarische Torschütze auch noch Schäfer. Hatte der damals ‘54 nicht den deutschen Siegtreffer vorbereitet („Schäfer nach innen geflankt – abgewehrt – aus dem Hintergrund müsste…“ – den Rest hatten wir schon)?  Es wird wirklich immer kurioser. Zu diesem Zeitpunkt wäre Deutschland aus dem Turnier raus und Jogi in Rente. In Gedanken sehe ich den dicken Viktor Orbán in Jubelpose und Angie Merkel versteinert vor dem Fernseher. Kann man Waldorf & Statler hinter mir nicht einfach abschalten? Es ist wirklich unerträglich! Hier oben mag man nicht mehr zuhören und unten nicht mehr zusehen. Deutschland wie kürzlich in der EM-Quali gegen Nordmatschedonien! Dann wechselt unser genialer Schlachtenlenker Jogi mit Müller, Musiala und Goretzka im Dreierpack die Wende ein. Letzterer netzt in der Vierundachtzigsten wie weiland Boss Rahn aus dem Hintergrund schießend mit seiner rechten Klebe ein. Zum 3:2 kommt es dann aber deshalb nicht mehr, weil der Fußball-Chaot Sané einen ziemlich einfachen Querpass zu seinen zwei völlig frei vor dem Tor wartenden Kollegen nicht hinbekommt und stattdessen den Ball in den Münchner Nachthimmel semmelt. Es klappt so vieles nicht heute Abend, aber Deutschland hat immerhin die Todesgruppe überlebt. Hinter mir lassen sich derweil Waldorf & Statler für die Einwechslung der drei oben genannten Bayern-Spieler abfeiern und Bierhoff neben mir lässt sich vom VIP-Sanitäter seine blutigen Finger verpflastern. Dieser Abend hat wirklich Spuren hinterlassen. Jogi hat wie damals Sepp Herberger die Wende gegen die Ungarn geschafft. Jetzt spielt er wie 1966 Helmut Schön in Wembley gegen England. Nein – nehmen wir stattdessen lieber Berti Vogts. Das 96er-Spiel ging einfach besser für uns aus. Jedenfalls geht die EM-Tour noch ein wenig für Die Mannschaft weiter und Jogis Renteneintritt muss ein paar weitere Tage warten.

Nach diesem aufreibenden Spiel und dem Ende der Vorrunde habe ich mir jetzt erstmal zwei freie Tage verdient. Meinen nächsten Einsatz habe ich wieder am Samstag beim ersten Achtelfinalspiel in Amsterdam. Diese schöne Stadt fehlte mir nämlich noch in meiner EM-Sammlung. Ob ich da wohl auch wieder irgendwelche bunten Fähnchen verteilen darf? Es kursiert übrigens das Gerücht, dass Bundeskanzlerin Merkel ihrem Amtskollegen Orbán aus gegebenem Anlass einen regenbogenfarbenen Pyjama geschenkt haben soll.
  

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EM-Kommentar vom 23.06.2021

Liebe Tippspieler*innen,

Dienstagabend in Brexitannien: Zeitlich parallel kämpfen England gegen Tschechien in Wembley (London) und Schottland gegen Kroatien im Hampden Park (Glasgow) um den Einzug ins Achtelfinale. Da muss man Augen-technisch flexibel sein: Hinten der Fernseher mit der ARD, vorn der Laptop, auf dem zwei angenehm sachliche österreichische Moderatoren aus der schottischen Hauptstadt berichten. England legt los wie die Feuerwehr, hat einen frühen Pfostentreffer, drückt auf das tschechische Tor und geht durch einen feinen Kopfball von Stirling nach schöner Flanke von links bereits in der 12. Minute in Führung. Großer Sport, endlich zeigen die Engländer mal, was sie drauf haben! Und es geht so weiter, Tschechien kommt kaum aus der eigenen Hälfte, die Limies wollen den zweiten Treffer. All dies passiert in der 1. Hälfte der 1. Halbzeit. Dann kommen die Tschechen einmal gefährlich vor das englische Tor und ab da ist es ein anderes Spiel. Hat die junge englische Mannschaft auf einmal Angst vor der eigen Courage? Jetzt kommt Southgates Elf kaum noch zu mäßigen bis guten Chancen. Es passiert nicht mehr viel bis zur Halbzeit.

In Glasgow gingen derweil die Schotten gewohnt kämpferisch zur Sache und ließen den Kroaten nicht viel Raum. Aber das Problem der Nordbriten bleiben die oft unpräzise Vorbereitung von Torchancen und der mangelhafte Abschluss. In diesem Spiel kommen auch Abwehrschwächen hinzu: Vor dem 1:0 findet Vlasic die Lücke zwischen vier Abwehrspielern und kann aus gut 10 Metern halb im Fallen links unten treffen. Doch Aufgeben ist nicht die Sache der Schotten. Und kurz vor der Pause werden sie belohnt, durch einen strammen Schuss von der Strafraumkante. Mein ORF-Stream hatte mich zu diesem Zeitpunkt gerade verlassen und ich war auf einen mit angeblich englischsprachigem Kommentar umgestiegen. Der Reporter geriet nach McGregors Tor richtig in Extase und schwärmte (Achtung, Lautschrift!): "Wot e luwwly strick!". Ja, da hatte er recht!

In der zweiten Hälfte geht es in London eher lahm los. Beide Teams neutralisieren sich im Mittelfeld. Den Tschechen reicht eine knappe Niederlage für Platz 2 in der Gruppe, solange Kroatien nicht hoch gewinnt. Und danach sieht es zunächst nicht aus. Taktik geht vor Angriffslust, auch die Tommies sind mit ihrem 1:0 zufrieden. Und so dämmert dieses Spiel in der 2. Hälfte dahin. Pure Langeweile, kaum Strafraumaktionen, ein einziger Torschuss, und der kommt erst in der Schlussphase. Gäääähn...

In Glasgow läuft das deutlich interessantere Spiel. Die Kroaten machen sich auf, doch noch Gruppenzweiter zu werden und werden dabei unermüdlich von ihrem besten Mann angetrieben. Der sorgt dann auch für den Führungstreffer: Nach schöner, perfekt getimter Vorlage zirkelt Luca Modric mit nur 3 Schritten Anlauf aus 18 Metern die Kugel mit dem rechten Außenrist links oben ins Eck. Ein Zaubertor vom Zauberfuß aus Zagreb. Wunderbar! Modric ist jetzt der jüngste und der älteste Torschütze für Kroatien bei Fußball-Europameisterschaften. Die Schotten leisten Widerstand, rennen immer wieder an. Und die Kroaten kontern, sie wollen das 3:1, das den 2. Gruppenplatz bedeutet. Und es gelingt, mit einem schönen Kopfball von Persic, der höher springt als alle Kleiderschränke in der schottischen Abwehr. Am Ende steht ein verdienter Sieg der Kroaten und die Erkenntnis, dass manche Fußballweisheiten offenbar unerschütterlich sind. Eine lautet: Schottland scheidet nach der Vorrunde aus. So auch diesmal. Vielleicht ändert sich das erst, wenn sich die Schotten aus dem Königreich lösen.

So zieht nun England ungeschlagen, aber mit nur 2 Toren als Gruppensieger in die Endrunde ein, begleitet von den Kroaten, die im letzten Spiel ihren Allerwertesten gerettet haben, und den Tschechen, die zu den besten Gruppendritten gehören. Keines der Teams hat wirklich dauerhaft überzeugt. Und die so hoch gelobten Engländer müssen sich steigern, sonst fliegen sie womöglich im Achtelfinale gegen Frankreich, Sportugal oder Deutschland raus.

Im Tippspiel ist Christina jetzt allein vorn und hat 4 Punkte Vorsprung. Es gab ordentlich Zusatzpunkte, auch für Leute, die bei den torschwächsten Teams richtig lagen: Schottland (mehrere Tipps) und die Türkei (nur von Jens richtig vorhergesagt) schossen nur ein Tor und fahren verdientermaßen jetzt nach Hause. Am Tabellenende wurde zwar ebenfalls kräftig gepunktet, es bleibt jedoch ein Rückstand von mindestens 4 Punkten für das Schluss-Trio. Aber heute werden noch einmal deutlich mehr Punkte vergeben als gestern. Nicht vergessen: Ab ca. 23:30h sind die Tippscheine für den ersten Teil der Endrunde online!

Es grüßt von der Schwentine
Robert


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EM-Kommentar vom 22.06.2021

Liebe Tippspieler*innen

nicht immer ist der Fußball die reinste Freude. Nieselregen, 15 Grad, ein feuchter Rasen mit noch immer fast betonhartem Untergrund, und dann noch so eine gegnerische Mannschaft, deren schnelle Spieler einem Alten Herrn ständig Knoten in die Beine dribbeln... - nein, es gibt Schöneres. Denn, soviel ist klar: Schöner ist, wenn man gewinnt. Immerhin, es gab hinterher noch ein gut gekühltes Pils. Ein Prost auf die Hebbelkicker! Egal ob Sieg oder Niederlage, es zählt das Spiel! Auf so ein Bier danach müssen Profis bei der EM bestimmt verzichten. Aber beim Fußball wird einem eben nichts geschenkt, weder auf der Hebbelwiese, noch bei einer Europameisterschaft. Gleichwohl... - so ganz stimmt das nicht. Die Russen schenkten einer durch die Herzattacke von Christian Eriksen schwer getroffenen dänischen Mannschaft das 2:0 und das war verdammt wichtig, gab Sicherheit und ermöglichte schließlich den Einzug in die Endrunde. Das Anschlusstor verwirrte nur kurz, dann nahmen die an diesem Tag wirklich starken Dänen wieder Fahrt auf. Was für ein Hammer von Christensen zum 3:1. Das war mindestens genauso schön wie der Weitschuss von Dansgaard zum 1:0. Ein Tag der tollen Tore also in Kopenhagen und eine große Erleichterung für die dänische Mannschaft und alle, die es mit ihr halten. Und das ist in diesem kleinen und sympathischen Land fast die gesamte Bevölkerung. Ja, ich gebe zu, ich mag Dänemark und die Dänen!

Von den restlichen Spielen des Tages habe ich naturgemäß nur Ausschnitte gesehen. Die belgische Mannschaft rannte lange gegen die finnische Burg an, hatte sie dann aber irgendwann auch sturmreif geschossen und machte noch drei schöne Tore, von denen eines wegen hauchdünnem Abseits nicht anerkannt wurde. Auch im belgischen B-Team, verstärkt durch Lukaku und de Bruyne, steckt noch genug spielerische Qualität, um irgendwann in der Abwehr solch defensiv agierender Gegner die lücken zu finden. Das hat Spanien gegen Schweden nicht geschafft. Belgien ist auf Kurs.

In die Hauptrunde begleitet werden die Belgier von Österreich und den Niederlanden. Die Holländer spielten wieder einen beeindruckenden Kombinationsfußball und schossen schöne Tore. Aber wir kennen das von ihnen. "Scheiß Frühform" nannte Jürgem Klopp als ZDF-Experte dieses Phänomen der Niederländer bei der EM 2008, als die Oranjes alle Spiele der Vorrunde torreich gewannen. Und dann war im anschließenden Viertelfinale Schluss, nach Verlängerung flogen die Holländer gegen Russland raus. Es wird von der Stabilität der Abwehr abhängen, ob der Weg diesmal weiter geht.

Österreich setzte sich für mich etwas überraschend durch ein Kung-Fu-Tor von Baumgartner gegen die Ukraine durch und darf nun weiter mitspielen. Die Ukrainer schafften es nicht, ihr Konterspiel über die Flügel durchzubringen und die Ösis waren insgesamt die aktivere, angriffsfreudigere Mannschaft. Nun geht es im Achtelfinale gegen Italien. Damit dürfte die EM dann für Astronautovic & Co beendet sein.

Im Tippspiel wechselt die Führung noch immer fast von Spiel zu Spiel. Klas und Christina sind jetzt vorn, aber das Feld der Verfolger*innen ist dicht. Und unten steuern das Schwarzwald-Duo die Rote Laterne an. Zum Glück gibt es noch 21 Spiele und eine Menge Zusatzpunkte, da ist die Ehre noch zu retten.

Viel Spaß beim Gucken und Tippen wünscht
Robert




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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 8)


EM-Vorrundenspiel Ukraine – Österreich (21. Juni 2021) in Bukarest: 0:1
Endlich wieder mal raus aus dem traurigen Herzogenaurach! Kein Wunder, dass sich in diesem tristen Kaff seinerzeit mal die Dassler-Brüder zerstritten haben. Auf dem Nürnberger Flughafen wartet heute früh schon eine gute alte zweimotorige Transall C-160 auf mich. Diese Oldtimer aus den frühen sechziger Jahren sind derzeit die einzigen Transportmaschinen der Bundeswehr, die noch zuverlässig fliegen. Leider werden auch die demnächst außer Dienst gestellt, dann fliegt gar nichts mehr mit dem schwarzweißen Kreuz auf den Tragflächen. Natürlich ist der Komfort an Bord etwas eingeschränkt, aber ich bin ja in spezieller Mission unterwegs. Da muss man eben ein paar Abstriche machen. Mit vollem Laderaum geht es in den tiefen Südosten des UEFA-Fußball-Imperiums. Ziel meiner Expedition ist die rumänische Hauptstadt Bukarest. Bekanntlich hatte sich dieses Land nicht für die EURO qualifizieren können. Doch eine ortansässige Investorengruppe unter der Leitung des umtriebigen 82-jährigen ehemaligen Tennisspielers und Multimanagers Ion Tiriac hatte die Nationalarena für günstiges Geld angemietet und sich mit dieser 55.000 Zuschauer fassenden Betonschüssel erfolgreich für vier EM-Spiele bei der UEFA beworben. Jetzt muss natürlich das investierte Geld wieder irgendwie reinkommen. Und auf diesem Gebiet ist der Ex-Manager von Boris Becker nahezu unschlagbar. Als der schnauzbärtige Pate mit der ewigen Sonnenbrille auf der Nase von der missglückten Corona-Schutzmaskenbeschaffung in Deutschland hörte, hat der sofort zum Telefonhörer gegriffen und Gesundheitsminister Spahn angerufen. Jetzt befinden sich 3,5 Millionen irgendwie fast vorschriftsmäßige FFP2-Masken mit an Bord. Spahn war froh, dass diese politisch umstrittenen Ladenhüter im Interesse der gesamteuropäischen Pandemiebekämpfung jetzt in Rumänien eine sinnvolle Verwendung finden können. Als kleine Anerkennung hat Tiriac ihm dafür einen alten Tennisschläger von Bobele versprochen, den dieser im Sommer 1987 als Titelverteidiger auf dem heiligen Rasen von Wimbledon nach seiner sensationellen Zweitrundenniederlage gegen den Australier Peter Doohan vollständig zerdeppert hatte. Dieses besondere Unikat will Jens Spahn jetzt seinem Ehegatten und Hobbytennisspieler Daniel Funke zum vierten Hochzeitstag schenken. Kleine Geschenke erhalten eben die Partnerschaft. Natürlich hat der gutgläubige Bundesgesundheitsminister keine Ahnung, dass der alte Fuchs Tiriac in seiner Garage hunderte angeblich von Boris Becker zerstörter Original-Rackets liegen hat und darüber hinaus überhaupt nicht daran denkt, die Schrottmasken an seine rumänischen Landsleute zu verteilen. Hinter den Kulissen hatte der nämlich schon einen weiteren Deal mit Bundesinnenminister Horst Seehofer klargemacht. Jetzt mutiert der Sondermüll aus China mit frischem Zertifikat zur völlig einwandfreien Schutzausrüstung und wandert flugs in die Notfallvorsorge des deutschen Katastrophenschutzes. Auf diese Weise brauchen die vielen Paletten im Laderaum nicht mal ausgeladen zu werden und gehen gleich am nächsten Tag wieder retour mit nach Nürnberg. Bei einem Sonderpreis von drei Euro pro Maske streicht sich Tiriac mit diesem Deal schnell mal eben gute zehn Millionen ein. Dieser Mann hat es einfach drauf!
Mein Job ist es nun, den ordnungsgemäßen Hin- und Rücktransport zu überwachen. Es gibt schlimmere Aufgaben, vor allem, wenn man persönlicher Gast von Ion Tiriac in Bukarest ist. Der lädt mich zunächst zum opulenten Mittagessen in das Spitzenrestaurant des Parlamentspalastes ein. Dahinter verbirgt sich das flächenmäßig größte Gebäude der Welt, das unter Ex-Diktator Ceaucescu ursprünglich mal als Haus des Volkes gebaut wurde. Das rumänische Volk kann sich wirklich glücklich schätzen, ein so schönes großes Haus zu besitzen. Dafür mussten in den achtziger Jahren zwar historische Wohnhäuser mit etwa 20.000 Wohnungen, die halbe Altstadt, ein Dutzend Kirchen und drei Synagogen abgerissen werden, aber das prächtige Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Die Baukosten betrugen damals übrigens rechnerisch bis zu vierzig Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts des ganzen Landes. Aber immerhin fanden dadurch 20.000 Bauarbeiter fünf Jahre lang Beschäftigung. Es war also eine Art von staatlicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bis zum bitteren Ende des Sozialismus und von Ceaucescu selbst.
Abends im Stadion erzählt mir Tiriac unterhaltsame Anekdoten aus seinem bewegten Leben. Im sagenhaften Transsylvanien geboren, spielte er sogar mal für die rumänische Eishockeynationalmannschaft bei den olympischen Spielen 1964, gewann 1970 mit seinem Landsmann Ilie Nastase im Doppel die French Open und stand für Rumänien dreimal im Davis-Cup-Finale. Danach war er neun Jahre Manager von Boris Becker, später noch für weitere Tennis-Stars und sechs Jahre Präsident des heimischen NOK. Sein in der Tiriac-Holding mit Sitz auf Zypern gebündeltes Firmenimperium umfasst die Tiriac-Bank, die Tiriac-Krankenversicherung, die Tiriac-Leasing, die Tiriac-Auto mit Importabkommen der meisten namhaften Autohersteller und Mehrheitsgesellschafter aller gängigen Autovermietungen, der Fluggesellschaft Tiriac Air, der Tiriac-Travel als Reiseveranstalter und Betreiber zahlreicher Reisebüros sowie einem nennenswerten Anteil an den METRO-Großmärkten in Rumänien. Der mehrfach verheiratete dreifache Familienvater gilt mit seinem Milliardenvermögen als derzeit reichster Rumäne und schießt in seinem 600 Hektar großen Jagdrevier gerne mal einen richtigen Bock. Sein Lebensmotto lautet: „Ich habe immer in den Rückspiegel geschaut, um nicht jeden Fehler zweimal zu machen.“ Fazit: Einen solchen Mann möchte man nicht zum Feind haben.
Aber jetzt sitzt Tiriac ganz friedlich neben mir, raucht seine Zigarre und ich kann das Spiel unten auf dem Platz völlig unbeschwert genießen. Es dürfen heute 13.000 Zuschauer ins Stadion hinein. Die wurden von Tiriac vorher mit frisch importierten FFP2-Masken aus Deutschland ausgestattet. Unser Frachtflieger wird also heute Abend ein wenig leichter sein. Ein gesundheitliches Risiko stellt diese Maßnahme übrigens nicht dar, denn im Stadion trägt kein Mensch eine Maske – jedenfalls nicht da, wo sie eigentlich hingehört. Kurz zur heutigen Ausgangslage: Die Ukrainer hatten gegen die Holländer zunächst einen Fehlstart, schlugen dann aber die Nordmazedonier. Bei den Österreichern war es genau umgekehrt. Im Ergebnis stehen für beide drei Punkte auf der Habenseite und die Chance, mit einem Sieg aus eigener Kraft das Achtelfinale zu erreichen. Interessant an diesem Duell sind in erster Linie die beiden Trainer, die bereits früher als Spieler von sich reden machten. Andrej Shevchenko feierte als Stürmer große Erfolge mit Dynamo Kiew, dem AC Mailand und dem FC Chelsea. In Erinnerung bleiben mir vor allem seine Auftritte mit der ukrainischen Nationalmannschaft bei der WM 2006. Mit seinen Toren führte er die Mannschaft immerhin bis ins Viertelfinale. Seit 2016 ist er Cheftrainer der Ukrainer. Sein Kollege Franco Foda gewann als Mittelfeldspieler mit Bayer Leverkusen und dem 1. FC Kaiserslautern jeweils den DFB-Pokal. In Erinnerung bleibt mir vor allem sein Auftritt beim ersten seiner insgesamt zwei Länderspiele mit der deutschen Nationalmannschaft im Rahmen einer Südamerikareise im Dezember 1987. Im ersten Spiel gegen Brasilien wurde er in der 82. Minute eingewechselt. Als sein Name im weiten Rund des „Estádio Mané Garrincha“ in Brasilia ausgerufen wurde, sorgte das für unbeschreiblichen Jubel und große Erheiterung bei den zumeist männlichen Fußballfans, denn Franco Foda bedeutet auf Portugiesisch nichts anderes als kostenloses F****n (Hinweis: Damit ist übrigens nicht Feiern gemeint und das gesuchte Wort ist nicht hundertprozentig jugendfrei). Ob seine überaus kurze Nationalmannschaftskarriere damit im Zusammenhang steht, ist mir allerdings nicht bekannt. Seit 2017 ist der Chefcoach der Österreicher.
Endlich Anpfiff in Bukarest – auf geht’s! Neben mir kann sich Don Corleone Tiriac, der alte Lustmolch, wegen der lustigen Geschichte mit Franco Foda immer noch nicht einkriegen. Dabei prustet er mir ständig seinen stinkenden Zigarrenqualm ins Gesicht. Glücklicherweise bin ich schon zweimal geimpft. Die Alpenländler legen derweil los wie die Feuerwehr. Hoffenheims Baumgartner netzt nach gut zwanzig Minuten zum umjubelten 1:0 ein. Nach 43 langen Jahren endlich wieder ein ultimativer Krankl-Moment: I werd‘ narrisch! Und dann beißt sich die Ukraine in den folgenden 70 Minuten die Zähne an dem knappen Rückstand aus. Shevchenko rauft sich auf der Trainerbank die Haare. Nach 67 Jahren erreicht Österreich mit großem Kämpferherz tatsächlich mal eine K.-o.-Runde bei einem großen Turnier. Aber jetzt ist Schluss mit den langen Zahlenkolonnen. Es ist jetzt endlich Zeit für eine richtige rot-weiß-rote Sause kreuz und quer durch Bukarest – ich sage einfach nur: Franco Foda!
Nach dem Spiel bringt mich Tiriac persönlich mit einem seiner 350 Oldtimer zum Flughafen, denn er gilt auch als einer der bestsortiertesten Autosammler der Welt. Heute sitzt er am Steuer des Original-Rolls-Royce von Feldmarschall Montgomery, dem alten Wüstenfuchs und Gegenspieler von Erwin Rommel. Das passt doch großartig zum Abschluss meiner heutigen paramilitärischen Expedition. Um zwei Uhr morgens setzt die Transall sauber auf dem Nürnberger Rollfeld auf. Während die Paletten mit den jetzt völlig einwandfreien Schutzmasken des Bundesinnenministeriums ausgeladen werden, plane ich derweil die nächsten Tage. Wie es aussieht, bin ich zunächst wieder auf die deutsche Nationalmannschaft und das EM-Stadion in München angesetzt worden, in dem am Mittwochabend das letzte Gruppenspiel gegen Ungarn ansteht. Bewährte Kräfte soll man eben nicht ohne Not tauschen. Das wissen vermutlich auch abergläubische Bundestrainer. Mein Weg führt mich also wieder einmal ins heißgeliebte Herzogenaurach. Mal sehen, wie die im Lager alle so drauf sind.


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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 7)


EM-Vorrundenspiel Portugal – Deutschland (19. Juni 2021) in München: 2:4
Heute melde ich mich wieder aus dem Campo Adiletto in Herzogenaurach. Seit gestern versuche ich, ein wenig Sauberkeit und Ordnung in den sterilen Plastic-Fantastic-Laden zu bringen. Die Mannschaft ist schon längst in München und bereitet sich mental auf das Spiel am frühen Abend gegen Portugal vor. Meine Aufräumarbeiten werden vermutlich noch bis morgen dauern. Dann kann ich diesen tristen Ort hoffentlich verlassen, um mich anderen wirklich wichtigen Aufgaben zu widmen. Denn die Viren flattern ja weiter fröhlich kreuz und quer durch Europa und so eine EM ist kein Hort der Glückseligkeit – allenfalls für realitätsferne UEFA-Funktionäre und gewissenlose Staatschefneurotiker. In Portugal haben sie jetzt mit Lissabon mal eben eine komplette Hauptstadt abgeschlossen und auch im United Kingkong vermehrt sich trotz Boris Johnsons Impfoffensive munter die Delta-Variante. Dabei handelt es sich übrigens nicht um eine Spieleröffnung beim Schach, sondern um eine fiese Mutation mit möglichem Schach-Matt-Effekt. Jetzt wird die UEFA den Briten möglicherweise das Austragungsrecht für die beiden Halbfinalspiele und das Finale in London wieder entziehen. Diese drei Spiele werden dann höchstwahrscheinlich in Budapest vor voller Hütte mit 61.000 Zuschauern in der Puskás-Arena stattfinden. Ungarn ist gemäß Verlautbarung von Staatschef Orban nämlich das einzige Land neben Nordkorea, in dem bisher kein einziger Corona-Fall offiziell registriert werden konnte und per Dekret auch weiterhin wird. Hier ist die Welt jedenfalls noch in Ordnung. Also Urlauber, ab an den Balaton und rauf auf die Luftmatratzen!
Hier im deutschen Camp fliegen solche aufblasbaren Teile auch im Garten rund um den Swimming-Pool herum. Jogi benutzt diese übrigens zur Darstellung seiner Spielidee. Früher gab es hierfür mal ein langweiliges Taktik-Board. Jetzt kann man die Verschiebung von Dreier- zu Vierer- oder Fünferketten und wieder zurück ganz dynamisch auf dem Wasser abbilden. Das sieht dann von außen aus wie eine kleine Seeschlacht, und da gibt's dann in der Mannschaft immer ein großes Hallo. So geht gute EM-Stimmung! Leider ist der Kollege Klostermann bei einer solchen Aktion irgendwie über Bord gegangen und bis heute nicht wieder aufgetaucht. Deshalb steht vermutlich auch heute Abend wieder mal nur Dreierkette auf dem Programm. Es wäre aber schön gewesen, wenn man die Luftmatratzen hinterher aus dem Pool gefischt hätte. Jetzt spiele ich den Fischer von Herzogenaurach und darf den ganzen Mist einzeln einsammeln und desinfizieren. Dafür brauchte ich gestern einschließlich Wasserablassen und Wiedereinfüllen den halben Tag.
Heute bin ich derweil Indoor aktiv. Die miefigen Spielerbutzen habe ich gerade fertig desinfiziert. Jetzt fehlt nur noch die Adolf-Dassler-Gedächtnis-Suite von Jogi Löw. Eine solche Bleibe hat er sich wirklich verdient. In einem seiner acht Räume (schöne Geste von Adidas: Für jedes große Turnier gönnen sie ihm ein eigenes Zimmerchen) hat er sich so etwas wie ein Mini-Archiv eingerichtet. Dort finde ich zu meiner großen Überraschung einen großen, staubigen Haufen Altpapier und ein paar verblasste Fotos vor. Diese sollen vermutlich daran erinnern, was mal gewesen war. Mir kommt es in diesem Moment vor, als würde die Zeit stillstehen. Aber ich bin ja nicht zum Spaß hier. Auch hier muss ich meine Spritzdüse gnadenlos ansetzen. Das ist schließlich mein Job. Vorher stöbere ich aber nochmal ein wenig in dem großen Haufen herum.
Ich entdecke zunächst einen kleinen zerknitterten Zettel mit der Jahreszahl 2006 auf der Rückseite. Da steht folgendes drauf: „Lieber Jensch – jetsch habe mir den Salat und es isch Elfmederschieße. Der Klinsi hat mir verzählt, i soll Dir Tipps für die Schütze von dere Argentinier gebe, wo die alle so hinschieße. Bin i denn der liebe Gott? Steck Dir einfach diesen Zettel in Dei Fußballschuh, mach e högscht schlaues Gsichtle und spring immer in Dei linke Eck nei oder sonstwo hin. Dann funzt des scho irgendwie. Liebe Grüß – Dei Co-Drainer Jogi!“
Dann finde ich ein Foto aus dem Jahr 2008. Es zeigt den für ein Spiel gesperrten neuen DFB-Chefcoach Jogi mit Kippe im Mund direkt neben dem kurz vor dem Atemstillstand stehenden Nichtraucher und Chefscout Ursch Siegenthaler in einer komplett nikotinvernebelten Glaskabine während des EM-Viertelfinalspiels gegen Portugal. Das ging damals übrigens 3:2 aus. Ein gutes Omen für heute Abend?
Das nächste Foto wurde während der WM 2010 nach dem 4:0-Viertelfinalsieg gegen Argentinien aufgenommen. Es zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Spieler Mesut Özil und Bundestrainer Löw, die in einem emotionalen Ausnahmezustand beide ihren Oberkörper vollständig entblößt haben, in der Spielerkabine nach dem Schlusspfiff. Der ganz außen rechts stehende Jogi wurde übrigens später aus Jugendschutzgründen herausretuschiert und durch einen Getränkeautomaten ersetzt. Das getürkte Bild mit Özil und Merkel ging dann um die Welt.
Dann entdecke ich eine Ausgabe der BILD-Zeitung aus dem Jahr 2012 nach der EM-Halbfinalniederlage gegen Italien. Das Titelfoto zeigt einen weiteren muskelstrotzenden jungen Mann mit offensichtlichem Migrationshintergrund, der seinen nackten Oberkörper ebenfalls eindrucksvoll zur Schau stellt. Es handelt sich aber nachweislich weder um Özil noch um Löw. Die Headline lautet: „Aus! Aus! Der Traum ist aus! Jogi, wo war dein Gold-Händchen?“ Darunter finde ich folgende mit schwarzem Filzstift geschriebene Notiz: „Einfach ekelhaft – so wasch will i nie wieder sehe!“
Zwischen weiteren Zeitungsausschnitten und Fotos finde ich plötzlich ein großes blutverkrustetes Taschentuch. Daran heftet ein gelber Klebezettel mit folgendem Hinweis: „Dies isch Originalblut von dem Schweini beim WM-Finale 2014 in Rio, wo i deme selbsch eigehändig mit mei Taschetuch abgetupft hab. Nach mei Tod geht diesch heilig Leichetüchle als Reliquie an dem Fuschball-Museum nach Dortmund!“
Dann finde ich eine fast völlig zerfetzte BILD-Zeitung aus dem Jahr 2016 mit der kaum lesbaren Titelzeile „Deutschland – Frankreich 0:2 – Adieu du schöner Titel-Traum!“ Immer wieder diese blöden Franzmänner – echte Spielverderber!
Das letzte Foto zeigt Jogi Löw während der verkorksten WM 2018 völlig alleine irrlichternd mitten im dunklen Birkenwald von Watutinki. Auf die Rückseite hat er nur kurz geschrieben: „Mei Gott Ruschland – wasch mach i blosch hier?“
Ich bin tief beeindruckt, denn das, was hier vor mir aufgestapelt liegt, ist irgendwie (übrigens eines der Lieblingsworte von dem Jogi) gelebte Fußballgeschichte, die ich nun leider gleich wegdesinfizieren muss. Das alte Fieber kommt plötzlich nochmal in mir hoch. Jogi, es war wirklich schön mit dir! Dann mache ich die Spritze an, der Sprühnebel entweicht und plötzlich wird alles wieder blitzesauber.
Das abendliche Spiel verfolge ich dann ganz ruhig mit der Adidas-Campmanagerin an der Poolbar. Wir genehmigen uns ein paar spritzige Gläschen Vinho Verde und lästern ein wenig über CR7 ab. Das macht man heute prinzipiell einfach so, auch wenn der eitle Typ natürlich ansonsten ein geiler Fußballer ist. Jetzt hat er alle EM-Rekorde gebrochen und freut sich wie Bolle. Deutschland freut sich eigentlich auch immer auf die Portugiesen, denn die hatte man bei den letzten wichtigen Turnieren (WM 2006, EM 2008, EM 2012, WM 2014) gleich viermal in Serie schlagen können. Nur sind die dummerweise amtierender Europameister und nicht so ganz von Pappe. Das Spiel geht dann zumindest für CR7 gut aus, denn er schießt zum ersten Mal gegen Deutschland ein Tor. Unsere Kicker spielen wie erwartet wieder mit Dreier-Kette und geraten prompt wie gegen Frankreich durch einen Konter unnötig in Rückstand, finden dann aber endlich selbst Gefallen an schönen Eigentoren. Diesmal fallen gleich zwei und die auch noch auf der richtigen Seite. Die Qualitäten von Italien-Profi Gosens scheinen sich bei Italien-Profi Ronaldo und Co. noch nicht so recht herumgesprochen zu haben. Was für ein Wahsinnsmacker! Aber wer über ein Jahr lang diese ganze Corona-Scheiße live und vor Ort in Bergamo überstanden hat, den schockt im Grunde nichts mehr. Deutschland erspielt sich dann in Halbzeit zwei eine klare Führung und wackelt sich dann letztlich zum hochverdienten ersten EM-Sieg. Die schwarze Serie der Portugiesen gegen uns wird auf diese Weise weiter ausgebaut. Die können Deutschland einfach nicht!
Nach Spielschluss planschen die freundliche Herbergsmutter und ich noch ein wenig im frisch desinfizierten Pool herum – selbstverständlich mit dem vorgeschriebenen Mindestabstand. Denn in ein paar Stunden wird es wieder hektisch hier im Camp, wenn Jogi mit seiner fröhlichen Reisegruppe aus München anrückt. Vielleicht geht die EM-Reise für ihn ja doch noch ein wenig weiter und er verzeiht mir meine kleine Aufräumaktion. Das desinfizierte Altpapier habe ich übrigens sauber gebündelt und anschließend in der blauen Tonne vorne am Camp-Eingang entsorgt. Wegen der Mülltrennung habe ich das jetzt blütenweiß gereinigte Taschentuch ins DFB-Museum nach Dortmund geschickt. Am Mittwoch heißt es in München zum Vorrundenfinale traditionsreich: Deutschland gegen Ungarn. Die Pusztasöhne haben heute Nachmittag mit Glück, Geschick und Gulasch im Tor bekanntlich die Franzosen düpiert. Insofern wird das nochmal eine heiße Nummer. Auch ohne Helmut Rahn muss diesmal zwingend ein Dreier her. Ich selbst gehe aber vorher am Montag nochmal auf eine schöne Reise in eine weitere interessante EM-Stadt. Es gibt schließlich noch viel zu tun bei dieser EM!


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EM-Kommentar vom 19.06.2021
Liebe Tippspieler*innen,

es ist Samstagabend, das letzte Spiel des Tages läuft gerade. Wir haben jetzt alle Mannschaften zwei Mal spielen gesehen - Zeit für ein erstes Fazit. Bei der Sortierung richte ich mich nach der einzigen wirklichen Fußballinstanz in unserem Land. Nein, ich meine nicht Mario Basler, und auch nicht Loddar Matthäus oder Reiner Calmund. Ich richte mich natürlich nach dem Kicker, in diesem Fall nach dem Sonderheft zur Europameisterschaft. Da haben die Redakteure die Qualitäten und Chancen aller Teams mit Sternen bewertet, von * bis *****. So mache ich es auch.

Kategorie 1: *****

Frankreich
Der Auftakt gegen Deutschland war gelungen, aber nicht voll überzeugend. Man spürte des Respekt vor der deutschen Mannschaft und eine gewisse Zurückhaltung in der Offensive. Gegen Ungarn wurden die Zweifel noch größer. In der ersten Hälfte erarbeitete der Weltmeister sich eine Fülle von Chance, brachte den Ball aber nicht im Tor unter. Kurz vor der Halbzeit pennte die Abwehr beim Gegentor - auch sowas gibt es also. Zwar fiel der Ausgleich relativ rasch, aber dann klemmte es im Sturm. Viel mehr als ein Pfostentreffer von Dembelé kam nicht mehr gegen den vermeintlich schwächsten Gruppengegner. Etwas enttäuschend, aber vermutlich kann sich die Mannschaft noch deutlich steigern.

Spanien
Zwei Unentschieden gegen Schweden und Polen, nicht gerade fußballerische Hochkaräter. Das Spiel scheint sehr barcelonesk, viele Kurzpässe, wenig Abwechslung, es fehlt der Plan B. Und es mangelt an Tempo im Spielaufbau. In dieser Form kein Favorit auf den Titel.


Kategorie 2: ****

Belgien
Erst ein überzeugender Sie gegen Russland, dann eine schwache erste Hälfte gegen Dänemark. Was das belgische Team richtig stark macht, zeigte es erst in der zweiten Halbzeit gegen die Dänen: Lukaku und de Bruyne können die Unterschied ausmachen. Wenn sie diese Leistung konservieren können und der Rest des Teams so spielt wie gegen Russland, dann ist alles drin, auch der EM-Titel.

Deutschland
Fehlendes Tempo und kaum vorhandene Durchschlagskraft in der Offensive im Spiel gegen Frankreich ließen schwere Zweifel an der Qualität des Teams aufkommen. Gegen Portugal dann das gegenteilige Bild, es ging flott nach vorn, das Gegentor irritierte nur kurz, dann wurde über die Flügel der Weg zum Erfolg eingeschlagen. Vier schöne Tore, auch wenn zwei davon Eigentore der Sportugiesen waren. Andererseits immer wieder Abwehrschwächen. Der Eindruck bleibt zwiespältig, aber die deutliche Leistungssteigerung im zweiten Spiel macht Hoffnung. So ist vielleicht doch wieder das
Halbfinale drin.

England
Zwei Spiele bisher, und so richtig schlau sind wir nicht geworden, was die englische Mannschaft betrifft. Der 1:0-sieg gegen die Kroaten war zwar verdient, aber extrem mühsam. Viele Torchancen hatten die Limies nicht, auch nicht im Battle of Britain gegen die Schotten. 2018 waren es noch die Standards, die Southgates junger Truppe viele Punkte bescherten. Das wissen die Gegner jetzt, und dieser englische Trumpf stach bisher bei dieser EM noch nicht. Viellicht bringt ein Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Tschechien die Engländer in die Spur. Ansonsten kann früher als erhofft Schluss sein, wartet doch womöglich im Achtelfinale das deutsche Team. Und da ist der letzte Turniersieg für England schon eine ganze Weile her.

Italien
Der tolle Offensivfußball der Azzuri hat uns alle begeistert. Die Mannschaft scheint sehr homogen und von großem Erfolgswillen beseelt. In dieser Form ist Italien ein Titelfavorit, aber bisher gab es nur bestenfalls mittelklassige Gegner. Ob die Rentner-Defensive auch gegen schnell kombinierende Teams sattelfest ist, muss sich zeigen. Dennoch: Es könnte zur ganz großen Überraschung reichen.
Nachtrag nach dem dritten Gruppenspiel: Obwohl fast die komplette Mannschaft für das Spiel gegen Wales ausgetausch wurde, änderte sich wenig. So souverän ist kein anderes Team durch die Vorrunde marschiert, das steht jetzt schon fest.

Portugal
Der Titelverteidiger ist mehr als nur CR7. Aber er tat sich sehr lange schwer gegen die kampfstarken Ungarn und verlor verdient gegen eigentlich angeschlagene Deutsche. Trotz der eindeutig vorhandenen Qualität vieler Einzelspieler scheint die Mannschaft insgesamt doch etwas überschätzt. Bei der EM 2016 brauchte Sportugal auch Glück zum Titelgewinn. Nach Titelverteidigung sieht es derzeit nicht aus.


Kategorie 3: ***

Dänemark
Der tragische Verlierer der bisherigen Europameisterschaft. Erst schockt Eriksens Herzattacke die Mannschaft und das ganze Land, dann verliert man nach 22:1 Torschüssen noch das überlegen geführte Spiel gegen Finnland. Und gegen Belgien reicht eine tolle erste Halbzeit nicht zu einem Punkt, weil der Gegner halt Weltklasse von der Bank nachrücken lassen kann. Gegen Russland muss ein deutlicher Sieg her, sonst ist schon in der Vorrunde Schluss für ein dänisches Team, das eigentlich besser ist als viele andere der letzten 20 Jahre. Aber wichtiger ist, dass Christian Eriksen wieder gesund wird.

Kroatien
Der Vizeweltmeister spielt bisher eine enttäuschende EM. Einfallslos und sturmschwach gegen England, wenig inspiriert und langsam auch gegen Tschechien - wie schnell ein so erfolgreiches Team doch einen rapiden Qualitätsverlust erleidet, wenn ein herausragender Stürmer aufhört (Mandzukic) und der Superstar im Mittelfeld alle Löcher stopfen muss, die seine Mitspieler offen lassen. Vielleicht reicht es noch mit einem Sieg gegen Schottland für das Achtelfinale, aber mit mehr darf man in dieser Form nicht rechnen.

Niederlande
Die Oranjes haben überzeugt: Siege gegen starke Ukrainer und mittelmäßige Österreicher sicherten den frühen Achtelfinaleinzug. Die Mannschaft ist vor allem in der Offensive herausragend besetzt. Aber in der Abwehr gibt es Unsicherheiten, das haben die Ukrainer deutlich aufgezeigt. Die Holländer hatten schon mehrfach das Problem, ihre gute Frühform über das Turnier hinweg zu konservieren. Eine Einschätzung bleibt daher schwierig. Es kann bis ins Halbfinale oder sogar Finale gehen. Aber dann muss die Abwehr stabiler stehen.

Polen
Es hat zwar im zweiten Gruppenspiel für die Polen zu einem Punkt gegen Spanien gereicht, aber die Enttäuschung aus dem ersten Spiel gegen die Slowakei wirkt nach. Ein Lewandowski macht noch keinen schönen EM-Sommer für unsere östlichen Nachbarn. Ein Sieg gegen Schweden muss jetzt her, sonst sind die Polen raus. Allzu optimistisch bin ich da nicht.

Schweden
Die Betonmischer-Truppe aus dem Spiel gegen Spanien machte es gegen die Slowakei nicht viel besser und gewann nur durch ein Elfmetertor gegen die Slowakei. Insgesamt hätte ich den Nordländern mehr zugetraut. Aber wer weiß? Es sind schon ganz anderer Maurertrupps in internationalen Turnieren weit gekommen und mit einem Punkt gegen Polen wären die Schweden schon sicher in der Hauptrunde. Dann ist Schluss mit Taktieren. Schwer zu sagen, wie weit es noch gehen kann.

Schweiz
Das Eidgenossen-Team trat bisher allzu bieder auf und war gegen Italien chancenlos. Trotz vieler Spieler aus den Topligen Europas bisher eine Enttäuschung.
Nachtrag nach dem dritten Gruppenspiel: Na bitte, es geht doch! Mit dem verdienten 3:1 gegen die Türkei wahrten die Schweizer die Chance aufs Achtelfinale. Aber mehr ist wohl nicht drin.

Türkei
Gegen Italien eine echte Nullnummer und auch gegen Wales ein enttäuschender Auftritt ohne Ideen in der Offensive. Es sieht nach früher Heimreise des eigentlich höher gewetteten türkischen Teams aus.
Nachtrag nach dem dritten Gruppenspiel: Auch gegen die Schweiz setzte es eine deutliche Niederlage. Die türkische Mannschaft war eine der großen Enttäuschungen dieser EM. Ab nach Hause und weiter üben!


Kategorie 4: **

Österreich
Es ging gut los für die Ösi-Auswahl aus der deutschen Bundesliga: Gegen kampfstarke Nordmazedonier wurde am Ende verdient 3:1 gewonnen. Aber gegen die Holländer lief dann schon viel weniger. Es fehlt an einem durchschlagskräftigen Sturm. So dürfte es schon gegen die Ukraine schwierig werden. Ob dann 3 Punkte fürs Achtelfinale reichen, muss sich zeigen. Spätestens dann ist aber für die Österreicher eh Schluss.


Russland
Die Sbornaja ist kein Wunderteam, hat aber auch noch nicht enttäuscht. Gegen Belgien verlieren ganz andere Teams mit 0:3 und gegen widerständige Finnen gab es dank eines technisch anspruchsvollen Tores einen Sieg. Mit einem Punkt gegen Dänemark dürfte das zum Achtelfinale reichen. Dann ist aber eine Leistungssteigerung notwendig, für die Einsatz und Kampfkraft nicht reichen. Aber schon bei der Heim-WM 2018 kam das Team ins Viertelfinale. Mit etwas Glück und gegen einen Gegner, den man mit kompakter Abwehr lange hinhalten kann, könnte es die Sbornaja auch diesmal schaffen.

Schottland
Großer Kampfgeist, nimmermüder Einsatz - das boten die Schotten schon immer, wenn sie mal zu einem Turnier antreten durften. Jetzt sind dank vieler Profis aus der Premier League sogar einige spielerische Akzente hinzu gekommen. Aber insgesamt ist das zu wenig für das Achtelfinale. Es bleibt der Achtungserfolg beim 0:0 im Battle of Britain.

Tschechien
Die große Zeit der Tchechen liegt jetzt schon gut 10 Jahre zurück. Aber noch immer haben sie technisch gute Spieler, allen voran mit Patrik Schick einen guten Mittelstürmer. Mit dem Sieg gegen die Schotten und dem Unentschieden gegen Kroatien ist der Einzug ins Achtelfinale nah. Als Gruppenzweiter warten dann Schweden oder die Nachbarn aus der Slowakei. Das scheint machbar.

Ukraine
Der starke Auftritt gegen die Niederlande hat nicht getäuscht: Die Ukraine hat ein gutes Team zur EM geschickt, das noch für Furore sorgen kann. Andrej Shevchenkos Mannschaft ist technisch und körperlich stark und spielt einen sehr ansehnlichen Fußball. Gegen die Nordmazedonier gelang zwar nur ein 2:1-Sieg, aber die gehören ja ebenfalls zu den positiven Überraschungen. Nun geht es gegen Österreich vermutlich um Platz 2 in der Gruppe. Wenn dort ein Sieg gelingt, wartet im Achtelfinale vermutlich Italien. Dann wird es schwer.

Ungarn
Der Kampfgeist ist die große Stärke der Magyaren. Im ersten Spiel hätte es damit gegen Sportugal fast zum Punktgewinn gereicht, aber nur 84 Minuten, dann hagelte es Ggentore. Angepeitscht von 67.000 Zuschauenden in Budapest gelang gegen Frankreich mit dem 1:1 immerhin eine Überraschung, nicht unverdient sogar. Aber die Offensive ist kümmerlich und die Zuschauerunterstützung wird bereits im nächsten Spiel fehlen. Es riecht trotz aller Kampfkraft nach Vorrunden-Aus in der Todesgruppe F.

Wales
Das Überraschungsteam der EM 2016 trumpft auch diesmal wieder groß auf. Ein verdienter Punkt gegen die Schweiz, ein auch spielerisch überzeugender Sieg gegen die Türken, mit vielen vergebenen Hochprozentern. So erreicht die Mannschaft des Bergvolkes von der Insel auch diesmal wieder das Achtelfinale und vielleicht sogar mehr.
Nachtrag nach dem dritten Gruppenspiel: Wenn Bale nicht völlig freistehend die Kugel über den Kasten gejagt hätte, wäre sogar eine Überraschung gegen Italien drin gewesen. Aber auch so hat es zum 2. Platz in Gruppe A gereicht. Stark!



Kategorie 5: *

Finnland
Der Sieg gegen Dänemark fiel den Nordländern fast in den Schoß und war extrem glücklich. Gegen Russland zeigte der EM-Neuling dann schon beherzteren Angriffsfußball, ohne jedoch große Torgefahr auszustrahlen. Mit der erwartbaren Niederlage gegen Belgien ist das erwartete Vorrundenaus nah.

Nordmazedonien
Vor der EM schlugen die Balkankicker das deutsche Team in der WM-Quali mit 2:1 und wer das für einen Zufallssieg hielt, darf sich einerseits bestätigt fühlen, denn vermutlich scheidet die Mannschaft sieglos und punktlos aus der EM aus. Andererseits machten es die Nordmazedonier ihren Gegnern in beiden bisherigen Spielen sehr schwer. Österreich gewann erst durch geschickte Einwechslungen und die Ukrainer waren am Ende froh, ihr 2:1 über die Zeit gerettet zu haben. Nordmazedonien traf bisher in beiden Spielen - diese Mannschaft ist kein Fallobst und die Spieler können stolz nach Hause fahren.

Slowakei
Der Kicker traute den Slowaken wenig zu, aber sie haben mit dem Sieg gegen Polen schon viel erreicht. Die Niederlage gegen Schweden war ärgerlich, denn jetzt muss gegen Spanien ein Punkt her, um ins Achtelfinale einzuziehen. Andererseits müssen auch die Spanier unbedingt gewinnen, und das hat bei denen bisher noch gar nicht geklappt. Eine Überraschung ist drin für die Slowaken, einen Klasse-Torwart haben sie auf jeden Fall, und wenn die Abwehr lange durchhält, werden die Spanier sicher nervös. Das wäre die Chance für die Slowaken.

NACHTRAG:
Im Tippspiel kann sich bisher niemand wirklich deutlich absetzen, das verspricht eine spannende Hauptrunde. Norbert hat sich klammheimlich an die Spitze gearbeitet, doch das größte Wunder passierte am Tabellenende: Karen hat ihre Punktzahl am Wochenende mehr als verdoppelt! Ansonsten fiel die Punktausbeute in einigen Spielen recht spärlich. Einzig John hatte auf ein Unentschieden zwischen Frankreich und Ungarn getippt und lag dann beim 1:1 komplett richtig. Auch bei Spanien-Polen gab es nicht viele Punkte zu verteilen. Es bleibt spannend!

Am Montag steht wieder der Hebbelkick an; die neue Punktetabelle gibt es daher erst gegen 21 Uhr.

Eine sportliche Woche wünscht
Robert

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EM-Kommentar vom 18.06.2021

Liebe Tippspielfreund*innen,

auch wenn man fußballverr... - ähhh... - also... - wenn man quasi normal fußballinteressiert ist, muss man manchmal auch noch arbeiten. Dem versierten Forscher reicht ein Auge zum Daten sortieren, mit dem anderen kann er gelegentlich den Livestream des ZDF verfolgen, damit ihm kein Tor entgeht. Wozu gibt es Wiederholungen? Viele dachten sicherlich, dass Ukraine-Nordmazedonien ein öder Nachmittagskick würde, gekrönt von einem verdienten 0:0. Doch weit gefehlt: Beide Teams spielten nach vorn und es kam zu einer Fülle von Torraumsszenen. Yarmolenko kann nicht nur Kunstsschüsse wie gegen Holland, sondern auch den schmutzig reingemüllerten Ball aus kurzer Entfernung. Kollege Yaremchuk weiß, wo die Lücke im kurzen Eck ist. Und Nordmazedonien wird nicht die Mannschaft mit den wenigsten Toren; die Balkankicker verwandeln Elfmeter zur Not im Nachsschuss. Das waren nur die erfolgreichen Schussversuche. Nebenbei gab es noch jede Menge weitere Action vor den Toren und insgesamt eines der aufregenderen Spiele dieser EM. Eigentlich zu schade für einen Nachmittagskick. Beide Teams würden wir gern auch im Achtelfinale sehen!

Am frühen Abend Dänemark-Belgien in Kopenhagen. Sympathie- und Mitgefühlsbekundungen ohne Ende für Christian Eriksen. Ein furioser Start der Dänen gegen schläfrige Belgier, gekrönt vom frühen 1:0. Weiter Druck der Heimmannschaft gegen sichtlich beeindruckte Weltranglistenerste. Die Belgier konnten sich glücklich schätzen, dass es zur Halbzeit nur 0:1 aus ihrer Sicht stand. Aber dann kam die Reaktion. Wohl dem, der einen Kevin de Bruyne einwechseln kann, wenn man ihn dringend braucht. Und glücklich wer einen Lukaku hat, der einfach seinem Verteidiger wegrennt, im Strafraum zu de Bruyne passt, der dann wiederum ganz überlegt dem Torschützen Thorgan Hazard serviert. Verdammt, war das gut! Das folgende 2:1 für die Belgier stand dem wenig nach, ein schöner Flachschuss von de Bruyne. Spiel gedreht, fast alles unter Kontrolle. Die Belgier schaukelten den Sieg nach Hause, mehr oder weniger glücklich, denn die Dänen hatten noch einige Chancen. Aber wenn man diese nicht nutzt, steht man am Ende mit null Punkten da. Schade eigentlich - die sympathischen Nachbarn aus dem Norden würden wir gern ebenfalls im Achtelfinale sehen. Dazu braucht es jetzt einen hohen Sieg gegen Russland. Belgien wird aus diesem Spiel die Erkenntnis mitnehmen, dass man Siege nicht geschenkt bekommt, auch wenn man in irgendeiner FIFA-Liste die Nummer 1 ist. Ohne harte Arbeit und hohe Konzentration geht es nicht. Aber mit diesen Tugenden und Weltstars wie de Bruyne und Lukaku ist alles möglich, auch der Titel.

Fast genauso schön wie die Bootsfahrt auf der Schwentine ist es, an einem lauen Sommerabend mit einem kühlen Störtebeker Mittsommer Wit auf der Terrasse zu sitzen, die fein abgerundeten Düfte und Geschmäcker von Orangen- und Pomeranzenschalen, Koriander, Pfeffer und Kamillenblüten und feiner Säure zu genießen und ein schönes EM-Spiel auf dem Laptop zu schauen. Ach, das Leben kann großartig sein... David Alaba ist sicher nicht ganz meiner Meinung, denn  während ich dies schreibe, tritt er im eckigsten Eck des Strafraumecks Dumfries auf den Fuß. Ziemlich dämlich, aber leider eindeutig. Und Depay ist beim Elfmeter völlig humorlos. So liegen die Ösis früh zurück. Schade, ich mag die Österreicher ja. Also... - zumindest die meisten, die ich so kennengelernt habe. Ein paar Usual Assholes und chronisch Bekloppte gibt's natürlich überall. Und während ich dies schreibe, wird gerade Marco Astronautovic auf der Tribüne eingeblendet. Zufall? Gaaaanz sicher!

Die Alpenkicker mühen sich redlich, doch die Flachländer aus dem Westen sind meist schneller, technisch noch ein paar Tricks besser und haben - wenn's drauf ankommt - den stabileren Körperbau. Immerhin: Hinteregger zieht mal von der Strafraumgrenze ab, knapp über die Kiste. Das Stadion zeigt keine Reaktion. Ein wenig Raunen wäre doch angebracht, da sind die Holländer keine guten Gastgeber. Hatte ich schon erzählt, dass ich vor ein paar Jahren mal mit Kollege Marc am Freitagvormittag im Stadion an der hohen Warte in Wien-Heiligenstadt (größtes Naturstadion Europas!) aufgekreuzt bin und wir glatt vom Geschäftsführer und dem PR-Chef des ältesten Fußballclubs Österreichs (First Vienna FC) begrüßt wurden? So geht Gastfreundschaft! Interessiert hier niemand? Egal! Weghorst legt rechts im Strafraum wunderbar nach rechts rüber auf Depay und der zimmert die Kugel jämmerlich über den Kasten. Kann er nur Elfmeter? Eine Minute vor der Halbzeit, Depay ist schon wieder in Schussposition, aber macht nix draus. Okay, die Käseroller sind die bessere Mannschaft, aber wenig effektiv. Halbzeit. Ich gucke mal nach, ob noch Limoncello da ist. Im Vergleich mit den Holländern boten die Italiener am Vortag mehr Spektakel und schöneren Fußball. Doch es gibt ja noch Halbzeit 2.

Alles was recht ist: Der Limoncello ist lecker! Die Oranjes bemühen sich um Offensive, aber es hakt immer irgendwo in der Ösi-Abwehr. Welchen Roman hat Wout Weghorst eigentlich auf dem linken Oberarm eintätowiert? Die Kameraeinblendungen sind zu kurz, um alles zu lesen. Vielleicht ist die Story aufregender als dieses Fußballspiel. Noch ein Limoncello? Ich warte lieber noch. Morgen ist ein Arbeitstag und die Forschung ruht nie.

Was geht jetzt noch für die Alpenkicker? Erst mal muss Bachmann einen gefährlichen Kopfball abwehren. Der Keeper ist gar nicht so schlecht. Und die Holländer wechseln ein Ruud Gullitt-Double ein. Sind wir auf einer Retrostyle-Party? Spielt beim anstehenden Duell England-Schottland auch ein Paul Gascoine-Darsteller mit? Wächst Kimmich jetzt eine Günter Netzer-Matte? Fragen über Fragen... Weghorst lässt sich auswechseln, er hat noch einen Termin beim Tätowierer. Ich frage mich, wer eigentlich der niederländische Nationaldichter ist. Und während ich noch sinniere,  schießt Dumfries nach schönem Konter das 2:0, ganz problemlos. Er kann offenbar mehr als nur Kopfball. 72. Minute: Depay knallt 10 m übers Tor. Vielleicht lieber doch noch einen Limoncello? Mit meinen Österreichern wird es wohl nichts mehr. Vorne steht jetzt dieser Fahnenmast Kalajdzic vom VfB, aber keiner schießt ihm an den Kopf, wie soll der Ball dann ins Tor gehen? Alaba zieht aus der Distanz ab, der Ball fliegt knapp rechts vorbei am Tor. Ein Lebenszeichen oder eine letzte Zuckung der Ösi-Offensive?

Noch immer ist es unglaublich warm auf der Terrasse. Bei diesen Temperaturen ist Fußballspielen mehr Qual als Spaß. Ausgenommen ist natürlich der Hebbelkick, morgen ab 18:15h auf der Hebbelwiese an der Feldstraße. Hinterher gibt's kühles Maisel's. All dies kann ich schreiben, weil in Amsterdam wenig Bemerkenswertes passiert. Schiri, pfeif ab! Endlich, er hat ein Einsehen. Verdienter Sieg der Holländer, für Österreich wird es schwer. Feierabend.

Im Tippspiel hat Christina schon 5 Punkte Vorsprung auf die Nicht-Gewinnränge, sie punktet einfach sehr konstant, auch bei den Zusatzfragen. Immer noch vier Hebbelkicker unter den Top-9, ein sehr erfreuliches Ergebnis. Karen hat unten Anschluss an die vor ihr liegenden Tipper*innen gefunden. Es geht also doch noch was!

Habt alle ein schönes Wochenende und vergesst nicht, den Speiseeisvorrat in der Kühltruhe aufzustocken!

Robert

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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 6)


EM-Vorrundenspiel Dänemark – Belgien (17. Juni 2021) in Kopenhagen:
Nach den Strapazen und Annehmlichkeiten des gestrigen Tages steht heute eine vergleichsweise kurze Reise zu meiner nunmehr siebten EM-Stadt im siebten Land auf dem Programm. Ich fliege am Vormittag nach Wonderful Copenhagen. Für die Sehenswürdigkeiten dieser tollen Stadt habe ich aber leider keine Zeit, denn ich werde im Auftrag der UEFA einen wichtigen Termin in absolut geheimer Sache wahrnehmen. Es geht um die künftige Sicherheit in europäischen Stadien in den Zeiten nach Corona. Denn digitaler Impfpass hin oder her: Wem kann man überhaupt noch trauen? Virenschleudern und auch Hooligans will doch keiner mehr in den Stadien haben. Aber wie denken die maßgeblichen Politiker über solche Themen – kann man auch denen überhaupt noch trauen? Einige zeigen sich überaus realitätsnah und andere wiederum negieren Pandemie und rassistische Gewalt völlig. Für die Beantwortung dieser komplexen Fragestellungen braucht man kompetente Recherche-Spezialisten. Und die gibt es hier massenhaft im hohen Norden. Der dänische Auslandsgeheimdienst Forsvarets Efterretningstjeneste (FA) hatte in kollegialer Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) bis ins Jahr 2014 bei hochrangigen europäischen Politikern zu diversen Themen akribisch herumrecherchiert. Man wollte diese vielbeschäftigten Menschen aber nicht durch stundenlange Befragungen am Telefon belästigen, sondern hat letztgenannte Geräte im Interesse eines umfassenden Datenflusses ganz unbürokratisch einfach angezapft und abgehört. Das macht man eben heute so in digitalen Zeiten. Vermutlich kamen auch wissbegierige Insekten wie beispielsweise Wanzen und Drohnen zum Einsatz. Mit meinem V-Mann von der FA (Deckname: IM Smørrebrød) treffe ich mich Undercover im Vergnügungspark Tivoli. Die wirklich interessanten Informationen will er mir allerdings nur in der abhörsicheren Achterbahn verraten. Es geht danach hoch und runter. Mein Gott, was der Kerl alles weiß – über Angela Merkel, über Jogi Löw und sogar über mich. Absolut erschreckend! Ich meine damit natürlich die Achterbahnfahrt in vierzig Metern Höhe und mit dreifachem Looping. Am Ende biete ich dem Stasi-Dänen den mir vorher von der UEFA ausgehändigten Geldkoffer an, damit er mich endlich aussteigen lässt. Ich hatte keine Ahnung, wie gefährlich Geheimdienstarbeit wirklich sein kann.

Bis zum Spiel am frühen Abend habe ich mich aber glücklicher Weise wieder einigermaßen berappelt. Im Parken Stadion mache ich dafür eine sehr positive Entdeckung. Das weite Rund mit insgesamt 38.000 Plätzen, von denen heute trotz Corona immerhin 25.000 besetzt sind, ist von oben bis unten mit aufmunternden Transparenten für Christian Eriksen geschmückt. Dieser tolle Spieler hat vor einigen Tagen an gleicher Stätte seinen bisher größten persönlichen Erfolg auf dem Rasen feiern dürfen. Als die dramatischen Fernsehbilder um die Welt gingen, musste auch ich aus verschiedenen Gründen ein paar Tränen verdrücken. Das gebe ich ganz ehrlich zu. Als die gute Kunde aus dem Krankenhaus kam, wollten seine Mitspieler ihm zur weiteren Genesung auch noch drei Punkte schenken. Das klappte zunächst einmal nicht so recht. Das Geschenk soll daher mit einigen Tagen Verspätung nun gegen die Belgier nachgeholt werden. Das macht die Aufgabe natürlich auch nicht gerade leichter. Aber dann wurde mit dem Anpfiff gleich Danish Dynamite gezündet. Nach hundert Minuten das 1:0 – Belgiens Torwart Cointreau chancenlos. Dann kommt die Gänsehautminute (für den heute abwesenden Spieler mit der Nummer) zehn. Es schließt sich eine nahezu perfekte restliche erste Hälfte an. Besser können die Dänen eigentlich kaum spielen. Doch trotz aller Überlegenheit liegen sie leider nur mit einem Tor vorne. Und dann vermasseln die abgezockten Belgier in der zweiten Hälfte mit frischen Spielern und zwei Toren noch das Genesungsgeschenk für den Kollegen im Hospital. Für die Dänen die zweite unglückliche Niederlage im zweiten Spiel. Aber Hauptsache gesund, wird man sich nicht nur in Kopenhagen sagen.

Heute Abend habe ich im Stadion übrigens auffallend viele fußballbegeisterte Damen jeden Alters gesehen, was mich natürlich grundsätzlich sehr erfreute. In diesem Moment musste ich an hochemotionale Diskussionen in diversen Fachforen zum allseits beliebten Thema Gender-Sternchen denken. Ich kann die Kritik daran überhaupt nicht verstehen. Wir Männer tun uns bisweilen ein wenig schwer damit, aber man muss nicht nur mit der Zeit gehen, sondern vor allem auch die großartigen Chancen erkennen, die sich einem jetzt bieten. Klar ist doch, wer professionell und virtuos gendert, der hat nun einmal unbestritten bessere Karten bei der Damenwelt – sowohl *Innen als auch außen. Früher mussten sich alleinstehende Männer extra einen Hund anschaffen, um wenigstens beim unverfänglichen Gassi-Gehen überhaupt mal vom weiblichen Geschlecht ansatzweise wahrgenommen zu werden. Die Trefferquote soll mit dieser Methode übrigens gar nicht so schlecht gewesen sein. Aber lag das nun eher am mehr oder weniger attraktiven Hundehalter oder an dem ausgeführten Vierbeiner? Egal – wer heutzutage als Mann erfolgreich gendert, der kann sich auf diese Weise sogar den Hund ersparen. Das ist gleich doppelt positiv – sowohl für die Geschlechterzusammenführung als auch für die Sauberkeit auf deutschen Gehwegen und Plätzen. Eher ungünstig dürfte sich das lediglich auf die Umsätze einschlägiger Tierfutterhersteller auswirken, wenn Chappy und Frolic nicht mehr so richtig gefragt sind. Übrigens kann man die genderinkludierende Schreib- und Sprechweise – also den unfallfreien und erfolgreichen Umgang mit Gender-Sternchen, Gender-Star, Gender-Gap und Gender-Pause – sowohl in Abendkursen der einschlägigen Volkshochschulen als auch in professionellen Wochenendseminaren lernen, die seit einiger Zeit von der Zeitschrift Emma in den meisten deutschen Städten angeboten werden. Einige alte klerikale Berufsbezeichnungen wie beispielsweise Mönch und Nonne erweisen sich dabei leider als absolut genderresistent (Achtung: Mönch*Innen oder Nonner wären also nicht korrekt!). Vermutlich ahnte die katholische Kirche bereits frühzeitig diese Problematik und trennt seit einigen hundert Jahren nicht nur die Geschlechter ganz sauber voneinander, sondern auch deren Schreibweise. Im Zuge der aufkommenden Diskussion um die Aufhebung des Zölibats besteht hier natürlich absoluter Handlungsbedarf. Leider kann man solche Probleme nicht einfach wegdesinfizieren. Die müssen sich irgendwann von ganz alleine in ihre Bestandteile auflösen.

Nach dem Spiel geht’s für mich ohne Hund, dafür aber mit einem weiblichen oder männlichen Exemplar dieser überaus freundlichen dänischen Taxifahrer*Innen wieder ab zum Flughafen. Ursprünglich war für morgen mein zweiter Einsatz in London bei der Mutter aller Länderderbys geplant. Schade – England gegen Schottland hätte mich schon irgendwie gereizt. Das erste offizielle Spiel fand bereits 1872 statt. Das war ein Jahr nach der deutschen Reichsgründung. Und seit gefühlt hundert Jahren haben die Schotten kein wichtiges Duell mehr gegen ihre ungeliebten südlichen Inselnachbarn gewonnen. Da würde wohl auch ein EU-Beitritt nicht weiterhelfen. Die Engländer haben aber jetzt mit der sich rasant ausbreitenden Delta-Variante ein viel größeres Problem als mit den schrulligen Fußballzwergen aus dem gebirgigen Norden. Am besten lässt man die Briten ganz alleine in ihrem Hochrisikogebiet austoben, sowohl auf als auch abseits des grünen Rasens. Nein – meine Anwesenheit ist jetzt in der Heimat erforderlich. Jogi hat nämlich den DFB gebeten, im Hauptquartier vor dem wichtigen Spiel gegen Portugal noch einmal für „absolut högschde Sauberkeit“ zu sorgen. Vielleicht meint er damit vor allem ein sauberes Passspiel seiner Auftaktversager. Aber dafür bin ich zum Glück nicht auch noch zuständig.  Meinetwegen – ab geht’s also wieder mal mit Ersatztank und Spritzdüse in die wrängische Provinz nach Herzogenaurach. Wenn‘s denn hilft!



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EM-Kommentar vom 17.06.2021

Liebe Tippspielfreund*innen,

was gibt es Schöneres als an einem sonnigen Sommernachmittag  zu einer Bootstour auf der Schwentine eingeladen zu werden (vom eigenen Doktorvater, also alles rein dienstlich!), mit Kaffee, Rhabarberkuchen, Erdbeertorte und einem Glas Prosecco? Klare Antwort: Nichts! So fiel es mir und weiteren Tippspiel-Kolleg*innen leicht, auf den Livestream des Spiels Russland-Finnland zu verzichten. Die ARD lieferte ja nach Spielende eine ausführliche Zusammenfassung, wozu also der Telekom das Geld in den Rachen werfen? Dann konnte man sehen, dass weder die Russen noch die Finnen das Toreschießen erfunden haben. Es gab eine ganze Menge recht guter Torchancen, vor allem für die Russen, aber doch am Ende bleibt nur das 1:0 für die Sbornaja in Erinnerung, bei dem Dzyuba und Miranchuk per Doppelpass sechs Finnen schwindelig spielen und Miranchuk den Ball schließlich aus gut 10 Metern von halbrechts ins lange Eck schlenzt. Ein tolles Tor! Die Russen sind mit dem Sieg jetzt wieder auf Kurs Richtung Achtelfinale. Alles im Plan.

Für die Freunde des polierten Chancenwuchers bot das Spiel der Türken gegen Wales am frühen Abend eine Reihe von Glanzpunkten. Etwas überraschend vor allem nach den biederen Auftritten beider Teams in der ersten Runde. Aaron Ramsey stand nach genialem Chipball von Bale völlig allein im Strafraum vor dem türkischen Keeper und überlegte: Hau ich die Kugel links rein? Oder rechts? Oder zentral ? Oder ballere ich das Ding in die 3. Etage? Nun ja, es blieb dann vorerst beim 0:0. Die Türken waren im besten Sinne stets bemüht, aber - ähnlich wie am Vortag bei der deutschen Mannschaft - wo war der Masterplan? So war es schwer gegen robuste Waliser, die einen technisch deutlich anspruchsvolleren Fußball pflegten als ihre Kollegen vom Nordende der britischen Insel. Und beim zweiten Versuch machten die Waliser es besser: Wieder ein genialer Chip von Bale und diesmal überlegte Ramsey nicht lange und schoss die Kugel flach ein. So ging es nach der Pause weiter, die Türken kämpften, rannten und gaben nie auf, aber mal abgesehen von zwei gefährlichen Kopfbällen gab es nur ein paar Dreiviertelchancen. Und auf der anderen Seite ballerte Gareth Bale erst einen Uli-Hoeness-Belgrad-1976-Gedächtniselfmeter über die Tribüne hinweg aus dem Stadion, um einige Zeit später eine hundertprozentige Kopfballchance kläglich zu vergeben. Das muss man sich erst mal leisten können! Weil die Türken vermutlich bis Mitternacht hätten weiterspielen können, ohne zu treffen, gab es nach einer netten Wirtshausrauferei auf dem Spielfeld dann in der Nachspielzeit noch aus einem Gewühl das 2:0 für die Waliser. Die Männer von der britischen Halbinsel sind offenbar Spezialisten für erfolgreichen EM-Fußball. Und Bale war Man of the Match.

Im Abendspiel servierten uns die Azzuri ein mehrteiliges Menü aus tollen Kombinationen, Tempo, Torgefahr und Spielkunst gegen eher biedere Schweizer, die erst Mitte der zweiten Halbzeit den ersten und einzigen gefährlichen Torschuss zustande brachten. Es machte großen Spaß, diesen Italienern zuzuschauen. Wieder drei Tore! Im Gegensatz zum deutschen Team scheinen die Italiener nicht erfolgssatt, sondern richtig gierig, bei dieser EM um den Titel mitzuspielen. Da läuft der Ball von einem Spieler zum anderen, aber immer mit dem Ziel, möglichst rasch Richtung gegnerisches Tor zu kommen. Was für ein Gegensatz zum deutschen Verwaltungsfußball! Okay, in der zweiten Hälfte wurde auch mal auf die Bremse getreten, so ein Turnier kann ja noch lange dauern. Aber die ersten 60 Minuten waren klasse! Wenn das deutsche Team so auftreten würde, wären alle hellauf begeistert. Leider sehen wir aber am Samstag bestimmt wieder die Querpässe von Kroos statt schneller Vertikalkombinationen. Schade. Jogi Löw und seine Weltmeister spielen immer noch den Fußball von 2014. Aber damit ist heutzutage kein Titel mehr zu gewinnen.

Im Tippspiel gab es weitere Zusatzpunkte, die aber die Tabelle kaum beeinflussten, denn außer Tim Stobbe hatten alle Italien als Achtelfinalist gesetzt. Christina ist jetzt vorn, schon 2014 war sie Dritte bei der WM. Die Dominanz der Damen scheint dennoch vorbei, die Herren haben aufgeholt und selbst der Spielleiter konnte sich ins erste Drittel vorarbeiten. Wer übrigens mal Unregelmäßigkeiten bei der Punktevergabe erkennt, möge sich bitte melden. Das liegt oft nur an Tippfehlern oder überflüssigen (und unsichtbaren) Freizeichen im abgegebenen Tippschein.

Habt einen schönen heißen Tag und bleibt cool!
Robert


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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 5)


EM-Vorrundenspiel Türkei – Wales (16. Juni 2021) in Baku: 0:2
Heute habe ich die weiteste Reise vor mir. Es geht nämlich in den äußersten Osten nach Aserbaidschan. Ich hatte vorher gar keine Ahnung, wie groß Fußball-Europa eigentlich ist. Jetzt weiß ich es endlich. Wenn ich die 4.000 Kilometer von Herzogenaurach mit dem Auto fahren würde, wäre ich fünfzig Stunden unterwegs. Mit dem Flieger geht es deutlich schneller. Die UEFA hat mir deshalb einen Charterjet von Nürnberg aus spendiert, der in aller Herrgottsfrühe startet. Am späten Vormittag erreiche ich die Hauptstadt des zwischen Kaspischem Meer und Kaukasus gelegenen Landes. In Baku riecht es überall nach Erdöl und viel Zaster. Vom Flughafen werde ich von einer der vielen Stretch-Limousinen abgeholt, die sich im Privatbesitz des Präsidenten Ilhan Aliyev befinden. Das ist aber nichts Besonderes hier, denn eigentlich befindet sich hier alles mehr oder weniger im Privatbesitz von Präsident Ilhan Aliyev. Ob das wohl auch für die schwarzhaarige Schönheit am Lenkrad gilt? Diese hat meines Erachtens eine auffällige Ähnlichkeit mit der Vizepräsidentin Mehriban Aliyev, die zufälliger Weise auch Gattin des Präsidenten ist. Unser Loddar sollte vielleicht auch mal dieses schöne Land besuchen (Stichwort: perfekt fürs Beuteschema). Der Präsident hat sein Amt übrigens von seinem Vater Heydar nach dessen Tod im Jahre 2003 völlig demokratisch geerbt. Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahre 1993 trägt der aserbaidschanische Staatspräsident ausschließlich den Namen Aliyev. Das nenne ich mal Kontinuität. Da können nur die Nordkoreaner mithalten.

Aber manches kann selbst der allmächtige Präsident nicht bestimmen. Seine Fußballer waren nämlich in der EM-Qualifikation kläglich gescheitert. Mit einem Batzen Petrodollars wollte er sich dann bei der UEFA nachträglich das Startrecht für die EURO erkaufen. Diese Methode hatte sich schon beim Eurovision Song Contest und bei der Formel 1 im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt gemacht. Mit knapper Mehrheit wurde sein Antrag jedoch von den UEFA-Gremien abgelehnt. Zum Ausgleich dafür wurde aber der Türkei die Zusage als Austragungsort wieder entzogen und den Aserbaidschanern nachträglich zugesprochen. So geht das im Fußball-Geschäft! Ergogan soll schwer getobt haben. Aber ein schneller Anruf von Aliyev hat ihn sofort wieder besänftigt: „Klappe halten – sonst wird euch Möchtegern-Osmanen der Ölhahn zugedreht!“ Aber wirklich echte Demokraten vertragen sich wieder schnell. Das gilt in besonderer Weise auch für echte Türken und Aserbaidschaner – vor allem, wenn es gegen die Armenier geht. Aliyev schickte Ergogan jedenfalls einen ganzen Koffer mit Eintrittskarten für das Spiel seiner Türken gegen Wales inklusive Impfnachweis und negativem Corona-Test. Denn es gibt nichts Unangenehmeres, als seine Ehrengäste durch lästige Kontrollen zu vergrätzen. Zu den Ehrengästen zählen natürlich auch alle Mitglieder der Familie Aliyev. Durch erstaunliche sexuelle Umtriebigkeit der männlichen Mitglieder dieser Sippe kommt da schon eine ziemliche Menge Mensch zusammen. Man muss davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der 34.500 zugelassenen EM-Besucher auf irgendeine Weise mit dem Präsidenten verwandt und verschwägert sind oder von diesem bestochen wurden oder gleich beides. Eine diesbezügliche Trennung ist bei der Einlasskontrolle jedenfalls nicht vorgesehen. Ehrlich gesagt: Ich muss auch nicht alles wissen – Hauptsache, die Papiere stimmen. Wobei wir schon bei meiner heutigen Tätigkeit in Baku wären. Ja – ich bin jetzt mal der Corona-Kontrollfuzzi. Mein Arbeitsplatz ist ein schattiges Zelt mit dicken bunten Teppichen, in dem der Zugang zum VIP-Bereich des Nationalstadions (Fassungsvermögen: 69.870 Zuschauer) geregelt wird. So einfach wurde es mir noch nie gemacht. Alle rund 17.000 Aliyev-Ehrengäste haben ein blaues VIP-Bändchen und alle rund 10.000 Erdogan-Ehrengäste haben ein rotes am Handgelenk. Per Definition sind diese Personen automatisch geimpft, getestet oder genesen. Ein wunderbar pragmatisches System! Warum machen wir es uns in Deutschland selbst so schwer? Ach ja – die restlichen rund 7.500 Zuschauer werden natürlich auf Herz und Nieren überprüft. Ahnungslose walisische Fußball-Fans müssen grundsätzlich trotz Vorlage einer Eintrittskarte auf dem Parkplatz vor dem Stadion in der prallen Sonne ausharren, bis die Ergebnisse ihres Corona-Tests irgendwann weit nach Spielende feststehen und wissenschaftlich ausgewertet sind. Immerhin kommen diese zweibeinigen Virenschleudern von den britischen Inseln und könnten die gefährliche Delta-Variante irgendwo mit im Gepäck haben.

Nach dieser ganzen Kontrollgeschichte habe ich mir ein wenig Annehmlichkeiten im Stadion ehrlich verdient. Ein ganzer Schwarm dunkelhaariger Großnichten des Präsidenten nimmt mich freundlich unter seine Fittiche und führt mich auf die Ehrentribüne. Was für ein großartiges und gastfreundliches Land! Aber kommen wir jetzt zum Fußball: Die Türken hatten im ersten Spiel von den Italienern schwer Prügel bezogen und Wales gegen die Schweiz auch nur ein dürftiges Unentschieden erreicht. Ein Dreier wäre also für beide Teams so etwas wie der Hauptgewinn. Vor dem Anpfiff demonstrieren die 22 Spieler auf dem Platz aber erstmal kniend gegen Rassismus und Fremdenhass. Ihre fragenden Blicke verraten, dass Aliyev und Erdogan so etwas Merkwürdiges offensichtlich noch nie gesehen haben. Bevor noch weiteres Unheil passiert, lasse ich daraufhin eine der Großnichten schnell mal ausrichten, dass diese Geste natürlich eine besondere Ehrbezeugung für die anwesenden Staatspräsidenten darstellt. Daraufhin erheben sich die beiden Oberdemokraten stolz von ihren Plüschsesseln und klatschen begeistert in die Hände. Alle anderen 34.448 im Stadion tun es ihnen gleich. In solchen Momenten ahnt man die völkerverbindende Kraft des Fußballs. Die elf Türken unten auf dem Platz sind davon wohl derart beeindruckt, dass sie sich in den neunzig Minuten gleich zwei Dinger von den Gebirgsbriten aus dem Lande der unaussprechlich langen Ortsnamen einschenken lassen. Deren Starspieler Garreth Bale verschießt dann aus Mitleid sogar noch einen Elfer, wird aber wegen seiner zwei Assists verdient zum Man of the Match gewählt. Bis auf Erdogan sind alle Menschen im Stadion glücklich. Der mimt den kranken Mann vom Bosporus und verzieht sich nach dem Spiel schmollend in die stille Ecke – sein Problem. Ich lasse es mir derweil erstmal gutgehen, hake bei den Mädels ein und ab geht’s zum Schlemmerbüffet.

Gut eine Stunde nach Spielschluss muss ich mich leider schon wieder von den attraktiven Großnichten losreißen, denn der Rückflug nach Deutschland ist noch am späten Abend geplant. Bei der Verabschiedung verraten mir die Süßen noch, dass natürlich ihr präsidialer Großonkel die Chartermaschine bezahlt hat und nicht die UEFA. Wie schön, dass es noch gute und vor allem derart spendable Menschen auf dieser Welt gibt. Mit dieser beruhigenden Gewissheit lümmele ich mich in die weichen Kissen meines Luxussitzes und schlummere hoch über den Wolken dem nächsten EM-Tag und neuen Herausforderungen entgegen. Fazit: Baku war klasse!

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EM-Kommentar vom 16.06.2021
Liebe Tippspielfreund*innen,

mir wurde ja schon spöttisch (aber doch auch ernst gemeint?) vorgeworfen, hier gendergerechte Sprache zu verwenden - was aber nicht nur in Anbetracht der Geschlechterverteilung an der Spitze unserer Punktetabelle absolut angemessen erscheint. Dessen ungeachtet will ich klarstellen, dass ich für die Spielansetzung am gestrigen Nachmittag nicht verantwortlich war. Verzweifelte Versuche, um 15 Uhr im öffentlich-rechtlichen TV, im Lila-Laune-Kanal oder im sog. Internetz ein EM-Spiel zu verfolgen, waren nämlich zum Scheitern verurteilt. Es gab keines. Als Methadon-Programm bot das ZDF ein müdes Testspiel der DFB-Frauen gegen Chile, leider keine Werbung für den Fußball des im Tippspiel doch so starken Geschlechts. So mussten wir bis zum frühen Abend warten, bis der Ball wieder richtig flott über den Rasen lief. Der Titelverteidiger Sportugal mühte sich redlich gegen überraschend widerständige Ungarn, die im heimischen Puskas-Stadion frenetisch angefeuert wurden, von über 67.000(!) Zuschauenden. Corona-EpedEMie - was soll das sein? Wenn ein Autokrat wie Victor Orban regelmäßig die gesamte EU an der Nase herumführen und nach freien Medien auch die Demokratie abschaffen kann, dann kann er auch ein Virus per Dekret des Landes verweisen - kein Problem! Das soll allerdings nicht von der großen Leistung der ungarischen Mannschaft ablenken, die zwar nicht die technischen Mittel der Sportugiesen besitzt, dafür aber kämpferische Qualitäten der Extraklasse. Da wurde jedem Ball hinterhergegangen, jeder gegnerische Spieler bis auf die Herrentoilette verfolgt, alles reingeworfen. Aber das reichte am Ende halt nicht, der Fußballgott war nicht mit den Ungarn. In den letzten 10 Minuten hagelte es noch 3 Tore. Erst ein von zwei Abprallern begünstigtes Führungstor für Sportugal, dann ein Elfmeter der Marke KMGMMAN, sicher verwandelt von Ronaldo, selbstverständlich mit anschließender Ich bin der Tollste-Pose und in der Nachspielzeit noch einmal Ronaldo, diesmal nach elegantem Durchsetzen im Strafraum. So stand es am Schluss 3:0 für den Titelverteidiger. Ein Sieg, der ein bis zwei Tore zu hoch ausfiel.

Abends das mit Spannung erwartete Duell der letzten beiden Weltmeister. Alle haben es gesehen, ich muss also nichts zum Spielverlauf schreiben. Fragwürdig bleibt, wie Löw mit dieser Taktik bei der EM was reißen will. Es fehlte jegliches Tempo im Spielaufbau, der Ball wurde hin und her geschoben, und ob man das "ein gutes Spiel gemacht" (O-Ton Kroos) nennen kann, darf bezweifelt werden. Hallo??? Joooogi!!! Wie wolltest Du dieses Spiel gewinnen? Was war der Plan? Okay, es ging gegen den Weltmeister mit seinen Weltklassespielern, aber das allein ist keine Entschuldigung für diese Pomadigkeit der deutschen Mannschaft. Die Expertenrunde in Jochens EM-Arena stimmte Tristan zu: Nur in 5 Minuten der zweiten Hälfte konnte das deutsche Team so etwas wie Druck auf die französische Abwehr ausüben, ansonsten war da nix. Den Nachbarn von der anderen Rheinseite kam natürlich die frühe Führung gut zupass, aber man konnte immerhin sehen, dass sie die deutsche Abwehr mit ihren superschnellen Leuten knacken wollten, was ja auch fast noch mehrfach gelungen wäre. Dem Keller in Nyon sei  es gedankt, dass das Spiel nur 0:1 verloren ging, da kann sich die Journaille den deutschen Kick noch halbwegs schönreden. Am Samstag gegen Sportugal gibt es die Nagelprobe für Jogi. Wenn es wieder schiefgeht und wieder nur quer gespielt wird, dann darf er gern schon mitten in der Gruppenphase seine Sachen packen. Nachfolger Hansi saß ja schon auf der Tribüne und kann übernehmen.

Im Tippspiel hat Henriette sich 2 Punkte Vorsprung erarbeitet, aber das Verfolgerfeld ist groß. Vier Hebbelkicker sind unter den Top-9, eine gute Bilanz für eine gute Truppe. Viele haben von den Zusatzpunkten profitiert und wer die Fähigkeiten des deutschen Teams korrekt einschätzte und nicht bloß nach Wunschdenken tippte, konnte gestern richtig absahnen. So gab es einige Verschiebungen und Comebacks in der Tabelle. Nur Karen sitzt unten drin wie festgetackert. Aber noch ist erst ein Drittel der Vorrunde gespielt, alles ist möglich.

Einen sonnigen Fußballnachmittag wünscht
Robert

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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 4)


EM-Vorrundenspiel Frankreich – Deutschland (15. Juni 2021) in München: 1:0
Heute Vormittag bin ich wieder in Herzogenaurach im so genannten Home Ground (bitte nicht zu verwechseln mit Ground Zero) der deutschen Nationalmannschaft angekommen. Das ist wieder so ein typischer Marketingkäse á la Teammanager Bierhoff. Auf der anderen Seite ist so ein Quartier natürlich wichtig, damit der richtige Geist aus den Spielern heraus aufsteigen möge und sich hinterher in Topleistungen auf dem Platz niederschlägt. Da ist auch immer eine gehörige Portion Aberglaube und Legende dabei. Der Geist von Spiez und von Malente soll ja die beiden WM-Titel 1954 und 1974 erst ermöglicht haben. Wer sich aber vor Ort das biedere Hotel Belvedére und die triste Fußball-Sportschule am ostholsteinischen Kellersee mal in Natura angeschaut hat, dem kommen doch einige Zweifel. Aber dann wurde mit dem Campo Bahia 2014 schon die nächste Legende geboren. Jogi Löw glaubte am Ende selbst diesen ganzen Mist. Nur Pfennigfuchser Bierhoff spielte nicht so recht mit und spendierte dem Team 2018 zur Abwechslung mal eine eher spartanische Massenunterkunft in einem tristen Plattenbau im noch tristeren Moskauer Vorort Wakutinki. Das ging bekanntlich schwer in die Hose. Und so bekam Jogi zum Abschied jetzt doch nochmal seinen Willen und es wurde das brasilianische Erfolgsquartier quasi 1:1 im wrängischen Herzogenaurach nachgebaut. Sogar an einen kleinen Dschungel mit richtigen Affen hat man gedacht. Einer von diesen possierlichen kleinen Kerlen soll übrigens sogar auf den Namen Berti hören. Je vier Spieler wohnen in insgesamt 15 kastenförmigen Wohneinheiten, auf neudeutsch Units (oder heißt das You not?) genannt. Sogar Sparfuchs Bierhoff kommt jetzt auf seine Kosten, denn der ganze Spaß findet auf dem Betriebsgelände von Teamsponsor Adidas statt. Zwar müssen die Spieler nach dem Training immer nochmal für ein paar Stunden im Lager oder am Fließband aushelfen, aber umsonst ist ja bekanntlich nicht mal der Tod. Jetzt muss ich schnell diese komischen „Units“ auslüften, durchdesinfizieren und bergeweise stinkende Socken entsorgen. Die Mannschaft ist ja schon gestern per Reisebus, auf der Autobahn begleitet von einer Polizeieskorte mit etwa fünfzig Fahrzeugen, zur Spielvorbereitung nach München aufgebrochen. Ursprünglich sollte die Strecke im Helikopter absolviert werden, aber da hat der DFB wegen der aktuellen Klimadiskussion wohl kalte Füße bekommen. Eine Bahnreise kam wohl ebenfalls nicht in Frage, weil der ICE kurzfristig nicht mehr ganzflächig mit einem schicken Mannschaftsfoto verziert werden konnte. Ich folge dem Team jetzt auch bald in Kürze – und zwar vorbildlich mit der Deutschen Bahn. Aber erstmal muss hier in dem Saustall aufgeklart werden. Mein Gott, was erwachsene Männer so alles auf ihren Zimmern herumliegen lassen – echt peinlich! Aber ich unterliege ja der Schweigepflicht und es machen vielleicht auch Minderjährige beim Dipp-Spiel mit. Also halte ich jetzt mal besser die Klappe.

Zwei Stunden später komme ich in München sogar ohne Verspätung am Hauptbahnhof an. Es geht doch! Die Bahn hat seit ihrer ersten Fahrt mit dem Adler von Nürnberg nach Fürth nochmal deutlich zugelegt. Jetzt schnell mit dem Taxi zum Stadion. In die Allianz-Arena passen normalerweise 75.000 Zuschauer hinein. Am Ende wurden nach einigem Hin und Her exakt 14.002 EM-Besucher zugelassen. Eigentlich waren es zunächst nur 14.000. Aber der DFB musste noch zwei Extrakarten für Rummenigge und Hoeneß draufpacken. Sonst wären die Bayern-Spieler gleich wieder abgereist. Das konnte Geizkragen Bierhoff aber dem armen Jogi nicht antun. Jetzt muss er zur Strafe die beiden granteligen Bayern-Granden im VIP-Raum bespaßen.

In München bin ich für die Desinfizierung der deutschen Umkleide zuständig. Normalerweise ist das hierfür zur Verwendung kommende Alkoholzeugs geruchsneutral. Aber vor allem die jungen Spieler mögen es nun einmal duftig und die alten Säcke sind ebenfalls obereitel. Was tut man nicht alles für die Zufriedenheit der Kunden. Leider konnte man sich aber nicht auf einen einheitlichen Duft einigen. Aber ist das jetzt mein Problem? Zum Glück habe ich immer mehrere Sprühtanks mit Wechseldüse dabei. Für jeden einzelnen Spieler- und Trainerspind gibt‘s nun eine separate Parfümeinnebelung. Die Bandbreite reicht dabei von Pitralon (Jogi Löw) über Hugo Boss (Mats Hummels), Paco Rabanne Invictus (Manuel Neuer), Diesel Only The Brave (Thomas Müller), Calvin Klein One (Serge Gnabry) bis zu Jean Paul Gaultier Le Male (Leroy Sané). Meine Güte, ist das eine Geruchsexplosion in der stickigen Furzbude! Wahrscheinlich fällt dieser fiese Cocktail als chemischer Kampfstoff unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Wenn man die Franzosen jetzt hier reinlotsen würde, dann wären die anschließend komplett spielunfähig, obwohl ja der ganze Mist überwiegend von dort stammt. Eigentlich keine schlechte Idee, oder? Mal sehen, was man als systemrelevanter Funktionsträger hier unten in den Katakomben so alles veranstalten kann.

Das Spiel verfolge ich am TV-Bildschirm im Behandlungsraum der deutschen Physios. Die hatten mir freundlicher Weise noch eine kleine Massageeinheit zukommen lassen. Was soll man zum Ergebnis und zum Spielverlauf noch sagen? Mit Pleiten, Pech und Pannen ist das deutsche Team ja seit der verkorksten WM in Russland reichlich gesegnet worden. Jetzt kommt auch noch ein Eigentor dazu. Das Ergebnis seiner eigenen Rückholaktion hatte sich Mats Hummels sicherlich etwas anders vorgestellt. Aber wenn ein Dortmunder endlich mal die Chance bekommt, dem Bayern-Torhüter im eigenen Stadion einen einzuschenken, dann muss man eben zur Stelle sein. Es war definitiv eines der schönsten Eigentore der letzten Jahre: wunderbar gegen die Laufrichtung von Neuer und ab in den Knick! Das hätte Mbappé nicht besser hinbekommen. Auf diese Weise blieben die Franzosen torlos und haben letztlich trotzdem gewonnen. Fußball kann manchmal wirklich grausam sein. Den Ort des Schreckens verlasse ich noch, bevor mir die frustrierten deutschen Spieler über den Weg laufen, denn am nächsten Tag muss ich schon in aller Frühe zu meiner längsten EM-Reise aufbrechen. Wohin es geht, verrate ich morgen. Jogis Buben sind dann schon längst wieder in ihrem Home Ground in Herzogenaurach angekommen. Dort werden sie aufgeräumte und frisch desinfizierte Zimmer in ihren Units vorfinden. Alle deutschen Fußballfans hoffen derweil bis zum nächsten Samstag auf den Geist von Herzogenaurach oder den Spirit of the Home Ground oder zünden eine Kerze der Hoffnung an, die bekanntlich immer zuletzt stirbt.



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EM-Kommentar vom 15.06.2021

Liebe Tippspielfreund*innen,

der Fußballnachmittag war wieder was für Experten des sog. Internetz. Auf http://livetv.sx gab es nach etwas Suchen und nach dem Wegklicken mehrerer Werbebanner dann einen qualitativ hochwertigen Stream des ORF, in dem ein Experte in schönstem Wiener Singsang das Spiel Schottland-Tschechien kommentierte. Auch auf dem Platz wurde durchaus Erfreuliches geboten. Die Schotten mit ihrer bekannt robusten Spielweise gegen Tschechen, die bestens darauf eingestellt waren und mit britischen Tugenden dagegen hielten: Körperlichkeit und Flanken auf den Mittelstürmer. Und der war der Star des Tages: Patrik Schick versenkte erst im Zweikampf bedrängt souverän einen Kopfball und schoss kurz nach der Pause das Tor der EM: Kurz hinter der Mittellinie erhielt er den zurückgeprallten Vertikalpass der Schotten, erkannte sofort die Gelegenheit und zirkelte den Ball über den gegnerischen Torwart hinweg aus fast 50 m Entfernung angeschnitten links oben ins Eck des schottischen Tores. Nicht einfach nur mit Vollspann draufgehalten und über den Keeper gelupft - nein, das hier war richtige Kunst! Großartig! Am Ende ein verdienter Sieg der Tschechen, die auch höher hätten gewinnen können. Immerhin: Die schottische Mannschaft bietet mehr als nur kräftige Kerle, Einsatz ohne Ende und Kick & Rush. Ohne den guten tschechischen Keeper hätte es glatt zum ersten EM-Tor nach 25 Jahren Absenz reichen können. Daumen hoch!

Ab frühen Abend dann ein torreiches Spiel, das die überlegene Mannschaft wegen vieler oft leichtfertig vergebener Torgelegenheiten mit nur zwei Toren Vorsprung gewann. Es ging hin und her, einmal wurde der Ball aus einem halben Meter Entfernung nicht im Netz untergebracht, sondern die Chance kläglich versemmelt. Ein andermal fand die Kugel schnurgerade ihren Weg durch die vielbeinige Abwehr und ins Tor. Dann wieder sinnlose Dribblings, geniale Pässe, versprungene Bälle und robuster Körpereinsatz. Da war alles drin; am Ende stand es 6:4. Und hinterher holte Marcel noch wohltemperiertes Bier aus seiner Kühlbox. Ihr seht: Es war wieder ordentlich was los auf der Hebbelwiese!

Parallel dazu bemühten sich die Polen gegen ihre südlichen Nachbarn um ein geordnetes Aufbauspiel und scheiterten allzu oft am eigenen Unvermögen. Ein Lewandowski macht noch keine gute Nationalmannschaft; ich hatte von den Polen mehr erwartet. Insgesamt sowieso kein tolles Spiel. Ich war am Ende überrascht, dass die Passquoten beider Teams über 80% lagen; gefühlt war der Wert deutlich geringer. Die Slowaken schienen einen Tick strukturierter und gewannen schließlich durch ein technisch anspruchsvolles Tor von Skriniar. Viel mehr muss man zu diesem Spiel zweier mittelmäßiger Mannschaften nicht sagen, die in dieser Form wohl kaum über das Achtelfinale hinauskommen düften.

Im Abendspiel fuhren die Schweden ihren XXL-Volvo-Doppeldeckerbus vor das eigene Tor und machten den hochfavorisierten Spaniern das Leben schwer. Den ersten Ballkontakt für die Schweden im gegnerischen Strafraum gab es in der 36. Minute - unfassbar, das es so etwas bei einer EM gibt! Leider litten die Spanier an der katalanischen Krankheit: Es gab keinen Plan B. Auch 917 gespielte Pässe und 85% Ballbesitz sind nix wert, wenn man keine Idee hat, wie man eine Stahlbetonwand sprengen kann. Ich habe das Spiel zeitversetzt geguckt und oft die Fernbedienung bemüht, um mal mit sechsfacher Gewindigkeit vorzuspulen - viel zu oft zirkulierte der Ball nur sinnlos (oder verzweifelt?) durch die spanischen Reihen, ohne jeden offensiven Effekt. Okay, der schwedische Keeper Olsen hatte einen guten Tag und hielt die wenigen gefährlichen Dinger, die auf seinen Kasten kamen. Aber ansonsten war das ein langweiliger Kick, den die Nordmänner mit etwas Glück sogar hätten gewinnen können. Das Glück der Spanier wird sein, dass nicht jeder Gegner acht robuste Abwehrspieler auf den Platz bringen wird. Wenn die Lücken zwischen den Reihen größer sind, verbessern sich auch die Möglichkeiten für die technisch versierten Spanier. Mal sehen, was Lewandowski & Co da zustande bringen. Die Schweden mauern sich womöglich als Gruppendritter bis ins Achtelfinale, aber mehr haben sie nicht verdient. Destruktivität gehört im Fußball bestraft.

Im Tippspiel ist Weltmeisterin Henriette schon wieder vorn - ein Fingerzeig für heute abend? Begleitet wird sie an der Spitze von Imke, deren Gatte gestern auf der Hebbelwiese verbale Tränen ob seiner kläglichen Performance (Platz 67) weinte. Kopf hoch, Ingo! Heute gibt es schon wieder Punkte. Karen hat den Griff fest an der Roten Laterne. Wie man aus 10 Spielen nur 2 Punkte holen kann, bleibt rätselhaft. Selbst mit komplett ausgewürfelten Tipps sollte mehr drin sein...

Viel Spaß heute abend beim Auftritt des Europameisters und anschließend beim Duell der letzten beiden Weltmeister!

Robert



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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 3)


EM-Vorrundenspiel Spanien – Schweden (14. Juni 2021) in Sevilla:
Jetzt bin ich am südlichsten Punkt meiner EM-Mission angekommen. Eigentlich wollten die Spanier ihre Vorrundenspiele zuerst in Bilbao austragen. Dann fiel ihnen aber auf, dass diese Stadt mitten im abtrünnigen Baskenland liegt und bei Auftritten der dort ungeliebten Nationalmannschaft mit wüsten Pfiffen von den Rängen gerechnet werden musste. Daher erklärte die Regierung in Madrid diese Region wegen angeblich zu hoher Inzidenzwerte kurzerhand zum Corona-Sperrgebiet und verlegte ihr Heimstadion mal eben ins sonnige Andalusien. Wenn ich an Sevilla denke, dann kommen bei mir natürlich alte Erinnerungen hoch: Deutschland gegen Frankreich! Nein – ich meine nicht das morgige EM-Vorrundenspiel, sondern den Halbfinalklassiker bei der WM 1982. Thrilla in Sevilla titelte anschließend die britische Sun in Anlehnung an eine frühere Schwergewichtsschlacht von Boxerlegende Muhammad Ali gegen Smokin‘ Joe Frazier in Manila. Wer damals noch nicht geboren war, dem gebe ich ein paar Stichworte zum Verlauf dieses denkwürdigen Spiels mit auf den Weg: Vierzig Grad Hitze abends um neun, unser immer lustiger Litti mit den Säbelbeinen macht das 1:0, Frankreichs Regisseur Platini gleicht per Elfmeter aus, Halbzeit, Keeper Toni Schumacher rammt den armen Battiston krankenhausreif in den Boden, Verlängerung, die überlegenen Franzosen gehen 3:1 in Führung, Deutschland eigentlich schon klinisch tot, Rummenigge verkürzt irgendwie, Klaus Fischer gleicht umjubelt per Fallrückzieher aus, Elfmeterschießen, Libero Stielike vergibt kläglich und heult anschließend den ganzen Rasen voll, Rambo Schumacher hält erst gegen Six und dann gegen Bossis, Sturmtank Hrubesch lässt den Ball vom Schiedsrichter auf den Punkt legen und schiebt die Kirsche anschließend ohne rechten Verstand in die Maschen, Endstand 8:7, Endspiel! Das alte WM-Stadion gibt es nicht mehr, aber jetzt steht an derselben Stelle das 1999 gebaute Olympiastadion mit einem Fassungsvermögen von 60.000 Plätzen. Wann war denn die Olympiade mal in Sevilla? Egal – ich bin ja nur zum Desinfizieren hier.

Heute Vormittag habe ich wieder einen Sonderauftrag zu erfüllen. Denn sowohl bei den Spaniern als auch bei den Schweden sind im Vorfeld Corona-Fälle aufgetreten. Also Alarmstufe Rot! Alle Spieler müssen in Kleingruppen in Quarantäne. Dafür wurden vor Ort zwei Containerdörfer aufgebaut, die man günstig aus alten RTL-Beständen (Big Brother) über Ebay-Kleinanzeigen ersteigert hat. In Containerdorf I (Codewort: Guantanamo) sind die Spanier untergebracht, in Containerdorf II (Codewort: Villa Kunterbunt) die Schweden. Ich sorge dafür, dass die Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden. Widerspenstige Spieler dürfen komplett in Folie eingeschweißt werden. So hart sind die Regeln hier. Deshalb ist auch Zlatan Ibrahimsson nicht erschienen. Der hatte diese ganze Scheiße wohl schon geahnt. In Schweden haben sie es ohnehin nicht so ernst mit Corona genommen. Jetzt sind zwar die Altenheime alle leer und die Rentenkassen saniert, aber der Katzenjammer ist dort trotzdem riesengroß. Das hatte sich der verantwortliche Chefvirologe Tegnell wohl Anders (Achtung: beschissenes Wortspiel!) vorgestellt. Jetzt ist Ibracadabra sicherheitshalber in Italien geblieben und übt auf dem Trainingsgelände von AC Milan fleißig weiter an der Perfektion seiner Fallrückzieher und eingesprungenen Kung-Fu-Tritte. Stattdessen sind jetzt für ihn etwas merkwürdige Kerle wie Kalle Blomquist, Michel aus Lönneberga, Karlsson vom Dach und Kurt Wallander ins Containerdorf eingezogen. Mir ist nicht ganz klar, wie man mit einer solchen Truppe die Spanier schlagen will. Die Stimmung im Camp soll aber bestens sein und die Schwedenpartys sind legendär. In einer Woche ist ja schon Midsommar. Es soll sogar ein Mädel mit roten Zöpfen auf einem schwarzgepunkteten Schimmel gesichtet worden sein. Aber vielleicht schlägt Corona nochmal auf der anderen Seite zu und die stolzen Iberer müssen am Ende mit dem Mannschaftsarzt, dem Pressesprecher und dem Busfahrer auflaufen. Das wäre dann die Chance für die Schweden. Ob es dazu kommt, wird der heutige Abend zeigen.

Endlich kann ich mal ein EM-Spiel ungestört im Stadion genießen, in dem sich abends um neun exakt 10.559 Zuschauer eingefunden haben. Es hat nämlich keine weiteren Corona-Fälle gegeben und so stehen jeweils die besten elf Spieler der beiden Containerdörfer auf dem Platz. Die erste Hälfte kann man wohl am besten so beschreiben: Die Schweden haben sich wie gärender Hering in einer Surströmming-Dose mehr oder weniger in der eigenen Hälfte verbarrikadiert und die Spanier haben offensichtlich nicht die Mittel, dieses sperrige Behältnis unfallfrei zu öffnen. Vielleicht haben sie auch Angst davor, denn jeder, der so etwas schon mal gemacht hat, bereut wegen des entweichenden bestialischen Gestanks auf der Stelle sein Unterfangen. Aber trotz neunzig Prozent Ballbesitz geraten die Spanier im ein Haar kurz vor der Halbzeitpause in Rückstand. Der rechte Torpfosten rettet den großen Favoriten. Gracias! In der zweiten Halbzeit wölbt sich noch einmal schwer der Deckel der Surströmming-Dose. Ich werde von der spanischen Bank gebeten, zur Sicherheit ein paar Einwegkittel aus meinem Hygienefundus zu spendieren. Denn wenn die fette Dose jetzt platzt, gibt’s eine Riesensauerei. Letztlich bleibt allen Beteiligten ein solches Naturereignis erspart. Die Schweden ermauern verdient ihr gewünschtes 0:0 und die Spanier sind froh, dass es endlich vorbei ist.

Noch nachts im Hotelzimmer träume ich von widerlich auseinanderplatzenden Surströmming-Dosen und bestialischem Gestank. Ich muss jetzt erstmal kräftig durchlüften. Dieses komische EM-Spiel hat auch bei mir tiefe Spuren hinterlassen. Ich beschließe, mir am nächsten Morgen das Frühstück besser zu ersparen, denn beim Anblick von Fisch auf dem Büffet würde mein Magen für gar nichts mehr garantieren. Einen solchen unerwünschten Ausbruch kann ich mir aber nicht leisten, denn der morgige Tag wird sehr anstrengend. Zuerst geht es mit dem Flieger von Sevilla nach Nürnberg und anschließend zunächst für ein paar Stunden nach Herzogenaurach. Dann hefte ich mich an die Fersen von Jogis Jungs, die sich jetzt in München schon für ihren ersten EM-Auftritt präparieren. Eine mögliche Mauertaktik ist vom Gegner Frankreich vermutlich eher nicht zu erwarten. Das ist doch irgendwie schon mal beruhigend, oder?

 


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EM-Kommentar vom 14.06.2021

Liebe Tippspielfreund*innen,

früher haben wir oft gerufen: Endlich geht sie los, die Fußball-Europameisterschaft! Diesmal ist alles anders, auch die Einstellung vieler zu diesem Turnier. Da kommt eher ein "Ach ja, da ist ja auch noch diese EM... - die geht ja jetzt tatsächlich los...". Und dann ist sie auch noch ganz anders als vorherige Europameisterschaften - der Kanal-Prolog hat das gut aufgezeigt. Eine EM mitten in der noch immer anhaltenden Corona-Zeit, quasi eine PandEMie. Doch vielleicht hat dieses Turnier auch sein Gutes. In den nächsten Wochen sind die meistdiskutierten Zahlen hoffentlich nicht mehr die gerade aktuellen Inzidenzwerte oder die noch abzuwartenden Wochen bis zur ersten oder zweiten Impfung, sondern die der Tore auf dem Rasen und der Punkte im Tippspiel. Das wäre doch eine willkomene Abwechslung...

Am Freitagabend ging es los. Grillabend bei Heidi und Eröffungsspiel auf einem endlich mal richtig großen Bildschirm. Scharfes Bild, kräftige Farben - die Kollegin hat da mal ordentlich Geld auf den Tisch gelegt, das hat sich gelohnt. Vielleicht versuche ich doch noch mal Verena zu überzeugen, dass unser 23-Zoll-Röhrenklops im Wohnzimmer nicht mehr ganz zeitgemäß... Nee... - war'n Scherz! Jedenfalls wurde in Heidis Wohnzimmer klar, dass man bei der UEFA nicht nur taub für die Wünsche der Fans, sondern auch farbenblind ist. Oder wie sonst kam diese schrille Kolorierung der Ergebnisbalken bei den Spielen zustande? Hallo UEFA! Wer hat das verbrochen?

Egal, es wurde endlich Fußball gespielt, zumindest von einer Mannschaft. Der türkische Busfahrer hatte sein Arbeitsgerät direkt vor dem eigenen Tor geparkt und die Italiener brauchten eine Halbzeit, um die lahme Karre sturmreif zu schießen. Dann gab es noch ein hochverdientes 3:0 und die Erkenntnis, dass man mit den Azzuri wieder rechnen muss, wenn es um die Titelvergabe geht. Ist es denen überhaupt erlaubt, das 1:0 zu schießen und dann weiter zu stürmen, statt hinten abzuriegeln? Wieso spielen die Azzuri in Weiß, wenn sie doch zuhause spielen? Warum hieß die Paarung "Türkei-Italien", obwohl in Rom gespielt wurde? Fragen über Fragen... Und was kam von den Türken? Nix.

Am Samstagnachmittag dann die große Gebührenzahler-Verarschung: Im ZDF liefen ab 15 Uhr die Schnurrbart-Trödel-Show aus dem letzten Jahr und die Rosenheim-Cops von 2007. Hallo??? Wenn ich schon meine GEZ-Gebühren gezwungenermaßen dem Silbereisen und seiner aseptischen Helene in den Rachen werfen muss, dann will ich wenigstens EM-Fußball satt als Kompensation! Mein EM-Führer verwies mich auf Magenta-TV. Obskure Sache. Lila Fernsehen? Ich wusste nicht mal, dass es sowas wirklich gibt. Verwirrung... Vielleicht Public Viewing in der letzten verbliebenen Telefonzelle bei uns im Ort? Nein, auch nicht. So sang ich dann das Loblied auf unsere dänischen Freunde hinter der grünen Grenze, die das Spiel komplett, live und mit angenehm sparsamen Kommentaren in ihrem öffentlich-rechtlichen DR1 übertrugen. In Schleswig-Holstein haben wir so etwas natürlich im Kabelnetz :-)

Es ging erst einmal um Wales-Schweiz. Das war kein Spiel für Fußball-Feinschmecker sondern eher für die Freunde der rustikalen Küche. Die Schweizer treten offenbar mit dem gleichen Kader wie 2016 an, dieser Mini-Kleiderschrank (so breit wie hoch) Shakiri läuft immer noch auf, dazu weitere alte Bekannte aus der Bundesliga. Es wurde Fußball gearbeitet. Vor und nach der Halbzeit die 5 Minuten des Breel Embolo: Erst widersteht er trotz intensiven walisischen Trikotests im Strafraum der Versuchung, sich fallen zu lassen. Dann setzt er sich kraftvoll im Laufduell gegen zwei auch nicht gerade schwächliche walisische Verteidiger durch und schließt ab, leider in Rückenlage, so dass der Ball nicht gut platziert ist und vom Torwart über die Latte gelenkt werden kann. Nach der anschließenden Ecke hängt schon wieder ein Waliser an ihm dran, aber er köpft trotzdem zum 1:0 für die Schweiz ein. Chapeau! Leider schalteten die Eidgenossen anschließend auf Bankbeamtenfußball um - Sicherheit geht vor Risiko. Das wurde bestraft durch einen schönen Turban-Kopfball von Moore, der den niemals aufgebenden Walisern immerhin noch einen verdienten Punkt bescherte. Insgesamt bot dieses Spiel untere Mittelklasse, mehr nicht.

Absolut ungewöhnlich und erschütternd dann das skandinavische Duell zwischen Dänemark und Finnland. Unsere Nachbarn rannten 43 Minuten gegen eine offensiv fast hilflose, aber defensiv aufopferungsvoll arbeitende finnische Mannschaft an und dann fiel Christian Eriksen um. Einfach so, ohne gegnerische Einwirkung. Erschrockene Gesichter im gesamten Stadion. Notärzt*innen, die um sein Leben kämpfen. Eine dänische Mannschaft, die sich sofort wie ein Schutzschild um den Teamkameraden stellt und den Kameras den Blick versperrt. Eine lange Pause, in der die gesamte interessierte Fußballwelt um Christian Eriksen bangt. Schließlich hoffnungsvolle Nachrichten, er scheint gerettet. Und dann die absurde Fortsetzung eines Spiels, in dem alle Beteiligten traumatisiert sind. Am Ende stehen 22:1 Torschüsse für die Dänen, aber 0:1 Tore. Ein Spiel, das niemand vergessen wird. Alles Gute, Christian Eriksen!

Parallel zur zweiten Halbzeit des Skandinavien-Duells hatte Belgien in St. Petersburg Heimrecht gegen Russland - wieder so eine Absurdität des europäischen Fußballs. Erschreckend und peinlich die Pfiffe der russischen Stadionbesucher*innen bei der Kniefallgeste der Begier als Zeichen gegen Rassismus. Der Weltranglistenerste erwies sich im Gegenzug als humorloser Spielverderber für alle russischen Fans in der mit 26.264 Zuschauer*innen nicht mal ausverkauften Arena. Semjonow stolperte schon nach 10 Minuten Lukaku den Ball in die Füße, der sich freundlich mit dem 1:0 für Belgien bedankte. Anschließend waren die Russen stets bemüht, ihren Fans zumindest mit Einsatz zu imponieren, aber die clever agierenden Belgier ließen wenig zu und nutzten abgezockt auch den nächsten Patzer der russischen Abwehr. Das war es dann auch schon fast. Die Belgier wollten nicht mehr, den Russen fehlten die Mittel. Und als ich mich schon voreilig über 4 Punkte für einen 2:0-Tipp freuen wollte, zeigte Lukaku noch einmal was er drauf hat: Den Steilpass aufgenommen, den Verteidiger abgeschüttelt, trocken flach abgeschlossen. So arbeitet ein Weltklassestürmer! Die Belgier zeigten gleich im ersten Spiel, dass sie zu den ganz großen Favoriten dieser EM gehören. Ich würde der Goldenen Generation dieses kleinen, traditionsreichen Fußballlandes den Titel gönnen. Gewinnen müssen sie ihn schon selber.

Die jungen, aber inzwischen gereiften Engländer gegen den Vizeweltmeister - das vermeintliche Topspiel des Sonntags gab es bereits zur Kaffeezeit. Und Southgates Jungs legten gleich ordentlich los, drängten Modric & Co in den ersten 20 Minuten in die Defensive. Foden setzte mit einem Fernschuss die Kugel an den Pfosten und auch Philips hatte eine gute Chance. Aber dann wurde es dünner. Die Kroaten rückten ihr Formation 8-10 m nach vorn und schon war es vorbei mit dem englischen Angriffsschwung. Der Rest des Spiels war dann ein Abnutzungskampf im Mittelfeld. Keine richtige Torchance für die Kroaten und eine einzige für die Engländer. Und die nutzte Stirling mit Gedankenschnelligkeit, Geschick und etwas Glück. Am Ende stand die Statistik bei 8:8 Torschussversuchen - für Schüsse direkt aufs Tor aber nur 2:1. Alles andere ging oft weit über oder neben den Kasten. Kein Spektakel also. Da dürfen beide Teams noch nachlegen.

Deutlich mehr Strafraumszenen gab es anschließend beim Spiel Österreich-Nordmazedonien. Die Nordmazedonier hatten schon in der WM-Quali gegen das deutsche Team überrascht, zeigten auch hier gegen die österreichische Auswahl aus der deutschen Bundesliga wenig Respekt und spielten frech nach vorn. Auch die Ösis hatten Chancen, aber lange war keine Mannschaft überlegen. Das frühe 1:0 durch eine in Vorbereitung und Abschluss tolle Kombination von Sabitzer und Lainer wurde wenig später ausgeglichen durch eine Slapstick-Aktion des österreichischen Torwarts, der den Ball nach dem Herauslaufen aus dem Tor am Boden sicher hatte und beim Aufstehen liegen ließ. Konsequenz: Das Ehrentor für die Fußball-Legende vom Balkan: Goran Pandev, fast 38 Jahre alt und das Herz seiner Mannschaft. In der zweiten Hälfte ging Alaba auf die linke Seite und für die Ösis lief es flotter nach vorn. Am Ende wechselte der deutsche Trainer Foda dann mit dem Augsburger Gregoritsch und dem "Chinesen" Astronautovic die Qualität ein, die es für den Sieg brauchte. Okay, das war kein Feuerwerk der Alpenkicker, aber immerhin ihr erster Sieg überhaupt bei einer EM und ein gelungener Auftakt. Andere Teams träumen von sowas.

Das Beste kam zum Schluss des Wochenendes. Zur Halbzeit stand es noch 0:0 zwischen den Niederlanden und der Ukraine, aber da war schon mehr Pfeffer und Spielkunst drin als im gesamten Nachmittagskick der Engländer und Kroaten. Die großen Chancen hatten die Käseroller, aber die Ukrainer deuteten an, dass sie feinen Fußball spielen können. Die haben nicht durch Zufall die Sportugiesen in der Quali hinter sich gelassen, da lief der Ball kontrolliert und schnell, nur der Abschluss fehlte. Und der Torwart Bushkhan war richtig klasse. Wer in der Halbzeit die Glotzkiste ausmachte und ins Bett fiel, hat die besten 45 Minuten der bisherigen EM versäumt - wer weiß, vielleicht sogar der ganzen Europameisterschaft. Die Holländer gingen verdient 2:0 in Führung und belohnten sich für ihre Offensivbemühungen. Dann schlugen die Ukrainer innerhalb von 5 Minuten zurück, durch ein Arjen Robben-Gedächtnistor und einen schönen Kopfball nach Freistoß. Und schließlich das Siegtor für Oranje durch ein Kopfballtor von Dumfries, der vorher zwei Mal beim Kopfball geradezu kläglich versagt hatte. Was für eine Dramatik! Jetzt wissen wir, warum wir Fußball gucken und nicht den Katie Fforde-Film im ZDF! Bedauernswerte Kreatur, wer am Sonntagabend den falschen Knopf auf der Fernbedienung gedrückt hat...

Im Tippspiel hat sich in Expertinnen-Trio an der Spitze etabliert, aber die Punkteabstände sind noch gering. Ganz unten konnte sogar Bertram schließlich doch noch punkten und sogar die Rote Laterne an Karen weiterreichen. Bald geht es weiter, heute wieder mit 3 Spielen. Die Aktualisierung nach dem Spiel am frühen Abend (18h) wird ein Stündchen auf sich warten lassen, denn parallel wird auf der Hebbelwiese gekickt und das geht vor.

Viel Spaß beim Dauerglotzen wünscht
Robert

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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 2)


EM-Vorrundenspiel England – Kroatien (13. Juni 2021) in London: 1:0
Vom Flughafen in Heathrow geht‘s mit dem Taxi morgens gleich nach Wembley. Da denkt man natürlich sofort an große deutsche Dramen und Triumphe. Sechsundsechzig: Verlängerung im WM-Endspiel gegen die Tommys, nachweislich bestochener sowjetischer Linienrichter, uns Uwe wird nach dem 2:4 mit hängenden Schultern von zwei englischen Bobbys vom Platz geführt. Zweiundsiebzig: Hinspiel EM-Viertelfinale, deutsches Verlegenheitsteam mutiert zur Wundermannschaft, Netzer kniet eine halbe Stunde am Elfmeterpunkt und streichelt sanft den Ball, kleines dickes Müller macht mit dem 3:1 den Sack zu. Sechsundneunzig: Wieder Verlängerung, Golden Eier-Goal von Ersatzmann Bierhoff zum 2:1 im EM-Finale gegen die Tschechen. Zweitausend: Didi Hamann zimmert im Freundschaftsspiel Englands Fliegenfänger David Seaman einen Freistoß aus mindestens fünfundsiebzig Metern zum 1:0 in die Maschen. Aus Frust beginnen enttäuschte englische Hooligans noch in der Nacht mit dem Abriss des alten Stadions. Jetzt ist aber alles wieder neu und chic. Die 90.000 Plätze können von 22.500 Fans belegt werden. Aber Premier und Impfkönig Boris Johnson arbeitet hinter den Kulissen schon schwer an einer völligen Lockerung, falls England ins Halbfinale einziehen sollte. Letzteres hatte bei Heimturnieren ja immerhin schon zweimal ganz gut geklappt. Merke: Auch als selbstverschuldete Brexit-Deppen sind die Limies keinesfalls zu unterschätzen. Wer schon mal die Luftschlacht um England gewonnen hat, der kann doch wohl locker so einen läppischen EM-Titel nach Hause schaukeln, oder?

Am späten Vormittag steht für mich aber erstmal englische Rasenpflege auf dem Programm. Denn auch zwischen den Gräsern können sich Viren und Bazillen einnisten. Das Mittel der Wahl ist daher eine kräftige Fuhre „Roundup“. Viel hilft viel, das wussten schon die alten Römer. Den offensiven Pflanzenschutz trage ich mit Hilfe eines alten deutschen Kettenkrads auf. Sowas kommt auf der Insel immer gut an, denn die Tommys verstehen erstens schrägen Spaß und lieben zweitens World-War-II-Folklore heiß und innig. Nach meiner kurzen Intensivbehandlung ist der keimfreie Golfrasen zwar so braun wie die Mehrheit der AfD-Mitglieder, aber es soll kein Spieler hinterher sagen, dass er sich beim Herumrollen nach einer Schwalbe durch Rasenkontamination infiziert hätte. Zum Glück können die meisten Kicker ein solches Fremdwort weder unfallfrei aussprechen noch dessen Bedeutung ansatzweise ergründen – allenfalls unter Zuhilfenahme eines Telefonjokers namens Günther Jauch. Den bräuchte man übrigens definitiv nicht zu desinfizieren, denn der hatte ja schon Corona.

Kommen wir kurz zum Sportlichen. Nach meiner Rasenbehandlung habe ich endlich mal Zeit, ein EM-Spiel in voller Länge zu betrachten. Dachte ich jedenfalls. Doch kurz vor Spielbeginn musste ich nochmal schwer tätig werden, um eine gesundheitliche Katastrophe für viele hundert Menschen im Stadion abzuwenden. Nein – es ist nicht das, woran jetzt alle denken. Die bösen Viren waren ausnahmsweise mal völlig schuldlos. Es geht lediglich um die nackten Leiber der männlichen englischen Fans. Bei fast dreißig Grad im Schatten wäre ein Sonnenschutz sicherlich nicht verkehrt gewesen. Aber diese hirnamputierten Inselpfosten hatten das eingesparte Geld lieber für Bier ausgegeben. Aus meinem mitgebrachten Chemiebaukasten habe ich dann auf die Schnelle einen großen Kanister mit Sonnenschutzfaktor fünfzig zusammengerührt. Damit sind dann die Rettungssanitäter auf die Tribüne gezogen, um die roten Fleischberge flächendeckend zu behandeln. Was tut man nicht alles für vollkommen ahnungslose Menschen.

Fußball gespielt wurde an diesem Nachmittag aber auch noch. Den Engländern ist es tatsächlich erstmals gelungen, ein EM-Auftaktspiel zu gewinnen, und auch die Kroaten haben etwas ähnlich Historisches geschafft, nur leider genau anders herum. Insofern sollte man diese Duplizität der Ereignisse keinesfalls als Win-Win-Situation bewerten. Die alte Frau Modric und ihre anderen Vizeweltmeisterkollegen schlichen jedenfalls ziemlich bedient vom Platz. Der Heimsieg von Harry Kane und Kameraden vor vielen hundert verhinderten Krebsen ging aber absolut in Ordnung. So kann das was werden mit dem vielbesungenen wieder nach Hause kommenden Fußball.

Wegen des Nachmittagsspiels bin ich dann noch am selben Abend von London nach Sevilla geflogen. Als ich dort aus dem Flieger steige, schlägt mir vierzig Grad heiße stickige Wüstenluft entgegen. Genau solche Temperaturen wären jetzt absolut perfekt zum finalen Garkochen englischer Fleischklopse. 



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Dedel, der EM-Desinfizierer (Folge 1)

Moin alle zusammen! Ich heiße Dedel und bin von Beruf Desinfizierer. Mein eigentlicher Name ist natürlich viel länger, aber das tut hier nichts zur Sache. Hier nennen mich alle ganz einfach nur Dedel. Mein Beruf ist meine Leidenschaft. Denn ich hasse nun mal Dreck und Bazillen. Die sind überall um uns herum. Aber ich habe die Lizenz und vor allem die Mittel, um sie alle wegzumachen. Es geht um Aldehyde, Alkohole, Ammonium, Chlorhexidin, Octenidin, Phenole und Polihexanid. Ich reibe, schrubbe, sprühe, tupfe und wiener damit quasi rund um die Uhr. Deshalb bin ich jetzt auch bei der EM im Einsatz. Alles muss sauber sein, ob nun in Rom, München, London oder am Arsch der Welt in Baku. Bakterien und Viren haben bei mir keine Chance. Denn ich desinfiziere sie überall einfach ratzekahl weg: Auf dem Parkplatz vor dem Stadion, auf der Tribüne und den Sitzschalen, auf dem Rasen, auf dem Spielball, auf dem Torgestänge, auf den Eckfahnen, in der Mixed-Zone, in den Katakomben, in den Umkleidekabinen, in den Presseräumen und sogar auf dem Büffet im VIP-Bereich. Denn Viren sind soziale Wesen und machen keine gesellschaftlichen Unterschiede. Das gilt sogar für Spitzenfußballer und Verbandsfunktionäre, und das ist irgendwie auch gut so. Früher war ich mal Tatortreiniger und bei Firmen wie Saubermann & Co. im Einsatz. Jetzt arbeite ich auf eigene Rechnung. Die Leute von der UEFA haben mich für vier Wochen engagiert und wegen meiner Vorgeschichte gleich zum EM-Chefdesinfizierer ernannt. Das ist gut für mein Geschäft und für die Gesundheit aller Beteiligten. Denn Viren mutieren jeden Tag, jede Stunde und jede Minute. Was sollen die blöden Dinger auch sonst in ihrer Freizeit machen? Deshalb bin ich jetzt unterwegs. Erst habe ich mal eben kurz in Herzogenaurach Jogis Basislager Campo Corona keimfrei gespritzt. Und danach geht’s jetzt jeden Tag in eine andere Stadt und in ein anderes Stadion – vom Eröffnungsspiel in Rom bis zum Finale in London kreuz und quer durch ganz Europa. Denn ich muss schneller sein als jede Bazille und jedes Virus. Das habe ich dem UEFA-Chef und dem Bundesgesundheitsminister versprechen müssen. Vielleicht kann ich damit deren wackelige Stühle retten – vielleicht aber auch nicht. Vorsichtshalber habe ich die aber auch noch mal sorgfältig desinfiziert.

EM-Vorrundenspiel Türkei – Italien (11. Juni 2021) in Rom: 0:3
Neun Uhr, München: windig, 17 Grad – die Frisur sitzt. Zwölf Uhr, Rom: sonnig, 28 Grad – die Tolle klebt immer noch wie Pattex auf der Kopfhaut. Früher benutzte man zu solchen Anlässen gerne Dreiwetter-Taft. Heutzutage mische ich mir mein Haarspray selbst zusammen. Denn auch oben auf der Birne muss es sauber und keimfrei sein. Gleich vor Ort am Flughafen holt mich eine Eskorte Carabinieri ab, denn es muss alles sehr schnell gehen. Ich habe nur ein paar Stunden Zeit, um im Stadion 72.698 bunte Sitzschalen zu desinfizieren. Im Prinzip hätten es auch die 16.000 getan, auf denen die zugelassenen Zuschauer am Abend des Eröffnungsspiels hocken. Aber kann man Italienern und Türken trauen, dass sie die ihnen zugewiesenen Plätze auch wirklich einhalten? Wohl eher nicht – deshalb dirigiere ich am frühen Nachmittag eine ganze Armee von weißen Männchen in Schutzoveralls mit großen Sprühflaschen auf dem Rücken durch die alte Betonschüssel. Düstere Erinnerungen an Bilder aus Bergamo im letzten Frühjahr werden wach. Eigentlich hätte man das ganze Ding von außen und innen komplett abspritzen müssen. Das so genannte Stadio Olimpico ist vermutlich ein Nachfolger fürs Colosseum und wurde zuletzt in der Steinzeit für die WM 1990 renoviert. Jetzt regieren dort seit dreißig Jahren Hausschwamm und Schimmel. In der Umkleide finde ich sogar noch alte Panini-Bilder unserer WM-Helden Loddar, Andi, Klinsi und Rudi an der rissigen Wand. Genau die fehlten mir noch in meiner Sammlung. Was für ein Glück! Ich habe die Schmuckstücke ganz vorsichtig mit Wasserdampf abgelöst und anschließend unter dem einzigen noch funktionsfähigen Fön im Waschraum getrocknet.

Dann muss ich noch zwei Spezialaufträge erfüllen: Erstens der silberne EM-Henkelpott und zweitens dieser komische Mini-Elektro-VW mit der Mulde für den Spielball obendrauf. Wer hat sich denn so einen Scheiß ausgedacht? Doch der Reihe nach: Der Silberpott ist echt Kult. Wo gibt es das noch, dass man aus einem Siegerpokal hinterher literweise Schampus trinken kann? Da stört man sich nicht mal dran, wenn man als Ersatzspieler Nummer dreißig nur noch dünne Plörre mit ekligen Schleim- und Hautresten der Mannschaftskollegen und Verbandsfunktionäre verkosten darf. Aber das war natürlich alles lange vor Corona. Heutzutage regieren leider so genannte Kunstwerke wie beispielsweise der im Vollgussverfahren hergestellte goldene WM-Pokal. Da ist nicht mal ‘ne kleine Wölbung für’n Jubi oder Korn vorhanden. Absolut feieruntauglich, sag‘ ich mal. Aus hygienischen Gründen sind die Massivteile aber natürlich wesentlich besser. Einmal vorher kurz von oben bis unten abgespritzt und fertig. Nur lecken sollte man hinterher besser nicht daran. Es soll WM-Sieger geben, die haben bis heute ihren Geschmackssinn nicht wiedergefunden – und das ohne Virusinfektion. So ein Henkelpott ist schon wesentlich schwieriger zu desinfizieren. Da muss man tief in den Hohlraum eindringen. Eigentlich bräuchte man dafür kleine Kinderärmchen. Aber das ist arbeits- und sozialpolitisch natürlich nicht darstellbar. Ich habe mir deshalb einen Schimpansen aus dem römischen Zoo zum Stadion bestellt. Aber der ist sofort ausgebüchst, als er mich in meinem Schutzanzug gesehen hat. Jetzt lasse ich das erstmal mit der Desinfizierung von innen. Da wird mir schon noch was einfallen. Bis zum Finale sind es ja noch ein paar Tage. Den Spielball mit dem komischen Namen Uniforia und das blöde Modellauto von VW habe ich dann auch noch abgespritzt. Mit Letzterem muss ich es wohl etwas übertrieben haben, denn als das Teil inklusive Spielball zum Anstoßpunkt ferngelenkt wird, ist die Batterie plötzlich mausetot. Anschließend hat man den havarierten Elekroschrott dann diskret hinter der Werbebande entsorgt. Jetzt will mich VW wegen imageschädigendem Verhalten verklagen. Dabei haben die in ihrer realen Elektroflotte denselben Murks verbaut. So wird das nichts mit der Klimawende, ihr Wolfsburger Oberschummler!

Vom Spiel selbst habe ich nicht so viel gesehen, denn ich musste aufpassen, dass die Masken bei den italienischen und türkischen Zuschauern richtig sitzen. Das taten sie denn zumeist auch: Entweder lässig am Unterarm getragen, locker unters Kinn gezogen oder sicher in der Hosentasche verwahrt. Es geht doch! Man muss die Leute in diesem pandemiegebeutelten Land aber auch ein wenig verstehen. Letztes Jahr noch am Abgrund und jetzt Fußball live im Stadion. Die Italiener haben nach ihrem Sieg dann in der Kabine noch ordentlich auf den Putz gehauen. Der ist dann auch prompt in dicken Placken von der Decke gerieselt. Anschließend musste aus statischen Gründen die ganze Bude geräumt und abgesperrt werden. Geduscht hat die Mannschaft dann erst mit Schampus und anschließend mit Leitungswasser auf dem Stadionparkplatz, wo ich vorsorglich eine Gardena-Gartendusche installiert hatte. Das bringt mal echte Pluspunkte. Ich sollte anschließend mit der Squadra Azzurra noch auf einen Zug durch die Gemeinde. Aber das geht leider nicht, denn in aller Frühe startet schon mein nächster Flieger nach Russland. Dienst ist schließlich Dienst und Grappa ist nicht Ramazzotti.

EM-Vorrundenspiel Belgien – Russland (12. Juni 2021) in St. Petersburg: 3:0
Nach Petersburg fahre ich besonders gern. Denn dort habe ich viele Arbeitskollegen und Freunde. Massendesinfektion wird nämlich in Russland großgeschrieben. Das haben die da im tiefen Osten super im Griff. Die desinfizieren dort nicht nur Bazillen und Viren, sondern auch ausgewachsene Menschen komplett weg – einfach sensationell. Einige kommen in separate Desinfektionslager nach Sibirien oder an den Polarkreis, andere wiederum dürfen im Ausland neu entwickelte Spezialmittel wie Nowitschok an sich austesten lassen. Der russische Fußballverband hatte mir vor der EM übrigens angeboten, mich mit Sputnik impfen zu lassen. Eine tolle Geste. Ich habe es dann aber doch lieber bleiben gelassen. Das frisch zur Fußball-WM 2018 gebaute St. Petersburg Stadion fasst 60.100 Zuschauer und es dürfen zu den sieben EM-Spielen immerhin 30.050 hinein – beim Spiel gegen Belgien sind es letztlich exakt 26.264. Russland hat nämlich Corona fest im Griff oder alle Infizierten weggesperrt oder aus praktischen Erwägungen gleich beides. Egal – hier im Reiche Putins ist man total sicher. Heute darf ich vor dem Spiel die große VIP-Tribüne desinfizieren. Das ist eine echte Ehre und ich weiß es wohl zu schätzen. Neben Putin werden auf dicken Ledersesseln sein Vorgänger Medvedev, sein bester Kumpel Gerhard Schröder, der derzeit erfolgreichste russische Fußball-Oligarch Roman Abramovich als frisch gebackener Champions-League-Sieger mit seinem FC Chelsea sowie Putins neue PR-Beraterin und Muse Maria Scharapowa sitzen. Da habe ich wirklich einiges zu schrubben.
Das Spiel der Sbornaja gegen die Belgier geht dann leider mehr oder weniger komplett an mir vorbei. Denn der olle Sozi-Bonze Schröder hat mir die ganze Zeit ein Ohr abgekaut. Ich solle ihm mal schnell ein Angebot für die Desinfektion seiner Scheiß-Rohrleitungen machen. Wenn die Gaspipeline Nord Stream 2 demnächst in die Tonne gekloppt wird, dann könnte man die blauen Edelstahlriesenzylinder, die noch auf der Insel Rügen sinnlos herumliegen, wenigstens für den Bau von Fluchttunneln verwenden. Man weiß ja schließlich nie, wohin man vielleicht irgendwann mal abhauen muss. Vorsicht ist vor allem im Kreml die Mutter der Fabergé-Ei-Kiste. Als ich die Kostenkalkulation fertig habe, ist das Spiel schon längst zu Ende. Auch mein zweites EM-Spiel ist 3:0 ausgegangen, diesmal aber für die Auswärtsmannschaft. Wie ich später hörte: Die Ü30 der Belgier wie üblich mit viel Routine und Abgezocktheit, die Russen wie üblich mit viel Aufwand und wenig Geschick. Zargenosse Putin war jedenfalls nicht sehr amüsiert. Das verheißt nichts Gutes für russische Fußballer und Regimekritiker.
Am nächsten Morgen rase ich wieder mit eingepackter Schutzkleidung und Chemiekoffer ab zum Flughafen, denn das nächste Spiel in London steht schon auf dem Tagesprogramm.



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Der Prolog vom Kanal zur EM 2020/2021


Eigentlich alles so wie immer...

Es ist doch eine schöne Erfahrung, dass man sich auf manche Dinge absolut verlassen kann. Auch wenn viele Jahre ins Land gehen: Sie ändern sich einfach nicht. Dazu zählen unter anderem die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn, die Glaubwürdigkeit der deutschen Automobilbauer, die Seriosität deutscher Banker und natürlich die Sicherheit deutscher Renten. In diese beispielhafte Kategorie fällt auch die diesjährige Fußball-Europameisterschaft. Auch hier ist eigentlich alles so wie immer. Erstens: Das EM-Turnier findet wie immer im Sommer exakt vier Jahre nach dem letzten Kontinentalchampionat (seinerzeit 2016 in Frankreich) statt. Zweitens: Der neue Europameister wird wie immer in maximal zwei europäischen Ländern ausgespielt. Drittens: Die EM-Spiele werden wie immer alle in vollbesetzten Stadien vor zigtausend begeisterten Fans aus ganz Europa ausgetragen. Viertens: Deutschland ist wie immer klarer EM-Favorit, vor allem auch wegen des Heimvorteils in der Vorrunde. Fünftens: Deutschland spielt wegen des chronischen Losglücks wie immer in einer der leichtesten EM-Gruppen. Sechstens: Alle Spiele können wie immer ausnahmslos im Free-TV empfangen werden. Siebtens: Alle Fans dürfen sich wie immer wahlweise auf großartige Public-Viewing-Events im öffentlichen Raum oder auf heimische TV-Fußballabende gemeinsam mit Freunden und Nachbarn in rappelvollen Wohnzimmern freuen. Das sind schon einmal die harten Fakten.

Was gibt es sonst noch zu berichten? Ach ja: Diese Europameisterschaft wird die letzte im alten Stil sein. Auf Initiative der Nationalverbände von Spanien und Italien wird nämlich 2024 ein völlig neues Format etabliert. Beide Länder werden künftig grundsätzlich bereits vor Beginn des Turniers für das Viertelfinale gesetzt sein. Weitere traditionsreiche Fußballnationen wie England, Frankreich und Deutschland sollen diesem guten Beispiel folgen und haben diesbezüglich bereits ein eindeutiges Angebot aus Süditalien erhalten, das man eigentlich nicht ablehnen kann. Zwei weitere der drei verbleibenden Viertelfinalplätze werden auf dem freien Markt meistbietend verhökert. Hierfür haben sich bereits die Emire bzw. Nationalverbände von Qatar und der Vereinigten Arabischen Emirate fest angemeldet, die natürlich formal vorher erst noch der UEFA beitreten müssten. Dafür fliegt dann Israel aus dem europäischen Kontinentalverband und wird künftig Nord- und Mittelamerika zugeordnet. Es muss schließlich alles seine Ordnung haben. Und alles wird natürlich auch viel besser. Das neue System verspricht nämlich sowohl für die Fans als auch für die sonstigen Beteiligten absolute Transparenz, Kontinuität und vor allem hohe Einschaltquoten bei den einschlägigen Pay-TV-Sendern dieser Welt. Der Deutsche Fußball-Bund soll sich Bedenkzeit erbeten haben. Der unlängst aus völlig freien Stücken zurückgetretene DFB-Präsident und hauptamtliche Winzergastronom Fritz Keller hatte den Beitritt zum neuen EM-Format eigentlich bereits einvernehmlich mit seinem Lieblingskumpel und Vizepräsidenten Roland Freisler (oder hieß der vielleicht Roland Koch oder doch lieber Rainer Koch – wie soll man sich auch diese vielen Namen alle merken?) klargemacht. Auf diese Weise würden endlich die manchmal schwer erträglichen EM-Qualifikationsspiele wegfallen und für Deutschland wäre die Gefahr eines vorzeitigen Ausscheidens für alle Zeit gebannt. Aber diese kluge Entscheidung des hauptamtlichen Winzergastronomen Fritz Keller wurde von seinem Interims-Nachfolger (Ja – sein ehemaliger Lieblingskumpel und früherer Vizepräsident, wie hieß der gleich nochmal?) leider erst einmal wieder eingesammelt. Bis zur endgültigen Bildung einer neuen DFB-Führungsriege, die voraussichtlich spätestens im Jahre 2024 erfolgen wird (als Kandidaten werden hierfür, wie in gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen spekuliert wird, heiß gehandelt: Uwe Seeler, Rudi Völler, Reiner Calmund und Kevin Großkreutz), soll aber definitiv eine diesbezügliche Entscheidung fallen. Das auf diese Weise runderneuerte EM-Turnier würde dann unter dem innovativen Namen „European Nations Super League“ firmieren. Der letzte noch freie Viertelfinalplatz würde übrigens unter allen weiteren 48 europäischen Mitgliedsländern der UEFA in einer dem EM-Turnier vorgeschalteten „European Nations Conference League“ in Rahmen einer drei Jahre dauernden EM-Superqualifikation ausgespielt. Die Fernsehrechte hat sich bereits der Spartensender VOX (u.a. spezialisiert auf Trash-Talks und Brüll-Reality-Soaps) gesichert, der aber vermutlich einzelne Spiele gegen Warengutscheine an einen Teleshopping-Kanal weitergeben wird. Die sportliche Durchlässigkeit wäre also auch in diesem neuen System weiterhin eindeutig gegeben. Das sind doch schon einmal gute Nachrichten aus den Luftschutzkellern der europäischen Fußballverbände.

Positiv ist natürlich auch das umfängliche Hygienekonzept der UEFA. Alles wird endlich mal sauber! Erst wurde die Verbandszentrale in Nyon kräftig ausgemistet, dann wurden die Konten mit den Schwarzgeldern vollständig ausgekehrt und jetzt sind mit Blick auf die EM auch noch die Sportstätten in den elf beteiligten Städten dran. Dazu braucht man natürlich qualifiziertes und hoch motiviertes Personal. Ein solcher Profi-Desinfizierer wird im Laufe der nächsten Wochen, so munkelt man jedenfalls, ein wenig aus dem Nähkästchen bzw. aus dem Chemietank plaudern.

Und wie stehen die Chancen für Jogis Buben? Natürlich wie immer supergut. Entweder geht‘s nach der Vorrunde direkt ins Achtelfinale oder in den wohlverdienten Sommerurlaub. So einfach ist das. Aber auch bei einem frühzeitigen EM-Aus würde der scheidende Cheftrainer sicherlich unser ewiger „Prinz der Eisenherzen“ bleiben. Die TV-Werbung hat jedenfalls schon einmal reagiert. Jogi macht nun Werbung für Haarfärbemittel, Gingko-Tropfen und Treppenlifte. Und beim freiwillig geschassten Ex-DFB-Präsidenten und Winzergastronomen Fritz Keller führt er tageweise Busreiserentner durch die barrierefrei hergerichteten Weinberge am Kaiserstuhl. So fügt sich alles zu einem großen Ganzen zusammen. Und am Ende wird wieder irgendeine Mannschaft Europameister – also eigentlich alles so wie immer.

Und gemeinsam mit unserem ewigen Loddar wünschen wir allen Fußballfans aus Kiel, Bremerhaven oder von sonstwo auf der Welt viel Spaß beim diesjährigen EM-Dipp-Spiel!

Mit besten Grüßen vom Kanal

Bernd Christoph